1. 1 Dialekt vs. Standardvarietät?
Dialekten wird in der Regel das Attribut der Mündlichkeit zugeordnet (vgl. Michel 2004, 1). Es wird davon ausgegangen, dass „die ausschließliche Kenntnis eines Dialektes und das Nicht-Beherrschen der Standardvarietät erhebliche Probleme für die Sprecherinnen und Sprecher mit sich bringt“ (Kellermeier 2000, 126). Während Dialektverwendung dafür steht, an einem sozial-kulturellem Leben in regionaler Sicht teilzunehmen, wird die Verwendung der Standardsprache mit schulischem Erfolg bzw. „erfolgreiche[r] Teilnahme am Bildungsprozess in der Schule“ (Kellermeier 2000, 126) gleichgesetzt. Diese Faktoren der Prestigeminderung bei Gebrauch des Dialekts gelten insbesondere im Deutschen. Im Italienischen ist die Situation differenzierter darzustellen, da Italien von einer ausgeprägten Diglossiesituation bestimmt ist. Es wird von einer Standardsprache-Dialekt-Diglossie gesprochen, in der der Dialekt eine besondere Rolle einnimmt (vgl. Bochmann 1988, 270f.). Bochmann 1988, 270 merkt zu dieser außerordentlichen Relation an, dass „[f]ür die meisten Italiener [...] der „dialetto“ die gebräuchlichste Varietät [ist], was in der europäischen Romania ein einmaliger Fall ist“. Eco definiert den Dialektgebrauch ebenfalls hinsichtlich der genannten Diglossiesituation. „[L]’Italia era stata sino alla metà del XX secolo un paese dei dialetti, dove la lingua patria era stata parlata a lungo solo dagli intelettuali e ancora era a disposizione delle sole classi colte“ (Eco 2005, 33). Da die italienischen Dialekte aber in der heutigen Zeit immer weniger gesprochen werden, kann von einem Paradigmenwechsel von einer „diglossia dura“ hin zu einer „diglossia morbida“ gesprochen werden (Sobrero 2005, 210).
Vor dem Hintergrund des Dialektrückgangs ist es daher lukrativ sich den Dialektgebrauch im Italienischen heute genauer anzusehen. Folgendes Zitat macht deutlich, dass der Dialektgebrauch auch heute noch Relevanz besitzt. Es stammt von der Spotted-Seite der Universität „La Sapienza“ in Rom, die auf dem sozialen Netzwerk Facebook zugreifbar ist:
scusateme er dialetto ma ne faccio uso retorico pe esprime più vicinanza
Dieser Satz ist schriftlich geäußert worden. Ein Bereich, der für die Linguistik (noch) eine untergeordnete Rolle spielt, betrifft die Verwendung der Dialekte im schriftlichen Sprachgebrauch (vgl. Michel 2004, 4). Inwiefern Dialekt nun in der heutigen Online-Kommunikation von Bedeutung ist und wie sich der Dialektgebrauch im Laufe der letzten Jahre verändert hat, soll in dieser Arbeit geklärt werden. Es soll ein Überblick über dialektale Schriftlichkeit gegeben werden und ein Korpus hinsichtlich des Gebrauchs des dialetto romanesco untersucht werden. Bei der Korpusanalyse soll elaboriert werden, welche Funktionen Dialekt in dieser neuen Schriftlichkeit einnimmt.
2. 2 Dialekte in Italien
Dialekte in Italien sind sprachhistorisch gesehen ein wesentlicher Bestandteil der italienischen Sprache. Bevor auf die dialektale Schriftlichkeit in Italien eingegangen wird, soll zunächst aber auf den bereits genannten Prestigewechsel Dialekt-Standardvarietät unter Berücksichtigung von Sprecherzahlen eingegangen werden.
2.1. 2.1 Abnahme der Dialektsprecher
Die Überlebenschancen regionaler Sprachen und Dialekte im allgemeinen Sprachgebrauch der heutigen Zeit sind aus unterschiedlichen Gründen eher kritisch zu betrachten. Wie bereits genannt, spielt beispielsweise das Verständnis von Prestige eine wesentliche Rolle. Belege für den Rückgang italienischer Dialektsprecher liefert eine Studie des Istituto Nazionale di Statistica ISTAT. Es werden im Folgenden die Ergebnisse einer Umfrage zum Dialektgebrauch im Jahr 2012 ausgewertet. Das ISTAT veröffentlicht seit geraumer Zeit im Abstand von ca. 6 Jahren die Studie „L’uso della lingua italiana, dei dialetti e di altre lingue in Italia“. Bei der Befragung von 23.35100 Personen wird deren alltäglicher Sprachgebrauch des Italienischen und von Dialekten in drei Kontexten – in famiglia, con gli amici und con persone estranee – ausgewertet (vgl. 2014). Folgende Tabelle macht die Ergebnisse deutlich. Anzumerken ist allerdings, dass die Angaben der Befragten auf Selbstestimation beruhen und daher nicht als allgemeingültig angesehen werden können. Dennoch liefern sie eine überblickshafte Tendenz der Entwicklung des Sprachpaars Italienisch – Dialekte.
Personen zwischen 18 und 74 Jahren |
In der Familie |
Mit Freunden |
Mit Fremden |
|||||||||
2012 |
2006 |
2000 |
1995 |
2012 |
2006 |
2000 |
1995 |
2012 |
2006 |
2000 |
1995 |
|
Italienisch (in %) |
53,1 |
44,8 |
43,3 |
43,2 |
56,4 |
48,2 |
47,3 |
46,1 |
84,8 |
73,9 |
73,6 |
71,4 |
Dialekt (in %) |
9 |
15 |
18,8 |
23,7 |
9 |
12,1 |
15,6 |
16,4 |
1,8 |
4,5 |
5,9 |
6,3 |
Beides (in %) |
32,2 |
34 |
34 |
29,5 |
30,1 |
34,3 |
33,8 |
33,5 |
10,7 |
19 |
18,7 |
19,1 |
Tabelle 1: Dialekt- und Italienischgebrauch von 1995 bis 2012
In den letzten 18 Jahren ist der Anteil an Sprechern, die überwiegend Italienisch sprechen in allen drei Kontexten konstant gestiegen. Aber nicht nur diese, sondern auch die Quote der Sprecher, die Italienisch und Dialekt in Kombination sprechen, ist stetig gestiegen. Die folgenden Grafiken zeigen diese Entwicklung im Vergleich zum gleichzeitig stark rückgängigen Gebrauch der Dialekte in Italien. Diese Entwicklung kann folgendermaßen zusammengefasst werden: „i dialetti sono sempre meno usati, sempre più spresso si alternano e si mescolano con l’italiano“ (Sobrero 2005, 210).
Tabelle 2: Uso dell'italiano dal 1995 al 2012
Tabelle 3: Uso del dialetto dal 1995 al 2012
Trotz des tendenziellen Rückganges des Dialektgebrauches, ist es überraschend zu sehen, dass es nach wie vor einige Bereiche gibt, die dialektal geprägt sind. Wie Dialekte dessen ungeachtet eine Revalorisierung erfahren und in welchen Bereichen sie sich schriftlich widerspiegeln soll in den folgenden Kapiteln geklärt werden.
2.2. 2.2 Revalorisierung von Dialekten
Das Lokale hat sich im Hinblick auf das Globale immer weiter herausgebildet. Diese Herausbildung ist als Folge der Globalisierung zu verstehen, bzw. als unabdingbarer elementarer Teil dieser, „das Globale liefert den Kontext, innerhalb dessen das Lokale neu formuliert und somit wiederhergestellt wird“ (Michel 2004, 5f.). Der Begriff Glokalisierung beschreibt diese Relation des „globalisierungsbedingten gesellschaftlichen Wandel auf regionaler und lokaler Ebene“ (Michel 2004, 5). Die besondere „Betonung lokaler Kulturen“ (Michel 2004, 5) schafft einen neuen funktionalen Manifestationsbereich dialektaler Schriftlichkeit. Lokalität wird als Gegenpol zu Globalität verstanden und mit diesem Ausgleich einhergehend werden Dialekte nun nicht mehr als negativ konntotiert gewertet, im Gegenteil.
Gerade im Italienischen gibt es eine spezielle Art der Revalorisierung der Dialekte. Trotz des starken Anstiegs der Sprecher, die angeben ausschließlich italienisch zu sprechen, und der starken Diskriminierung der Dialekte zwischen den sechziger und siebziger Jahren (vgl. Eco 2005, 35f.; Sobrero 2005, 216), wurden auf nationaler Ebene Maßnahmen zum Schutz der Dialekte ergriffen. Die legge 482/1999 und die legge 38/2001 stehen für die Förderung der „valorizzazzione delle lingue e delle culture delle minoranze linguistiche“ (Sobrero 2005, 216). Nur durch Verabschiedung dieser Sprachschutzgesetze verlieren die Dialekte und andere Minderheitensprachen ihre negative soziolinguistische Konnotation und es wird ihnen nicht mehr abneigend gegenübergestanden:
Il dialetto non è più una brutta cosa. I giovani lo utilizzano molto spesso come segnale di coesione di gruppo, ma il dialetto è ‚rinato’ anche nella pubblicità, nella musica giovanile, nelle scritte murali (Berruto 2002), e nell’attività delle amministrazioni locali è tutto un fiorire di iniziative di recupero e ‚valorizzazzione’. Anche se ormai, in molte aree, è ridotto al livello di specie protetta (Sobrero 2005, 216).
Auch (Grimaldi 2004, 123) ist dieser Ansicht: “Pare proprio che i dialetti stiano vivendo una seconda giovinezza“. Es darf allerdings trotz allem nicht vergessen werden, dass ungeachtet der prestigebezogenen Revalorisierung der Dialekte die Dialektsprecher stetig weniger werden und die Dialekte in immer begrenzteren Kontexten zum Einsatz kommen (siehe Kapitel 2.1).
3. 3 Dialektale Schriftlichkeit
Durch die Rivelation, dass die italienischen Dialekte in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben, stellt sich natürlich die Frage nach den Manifestationsbereichen dieser. In vielen Bereichen – „dai fumetti alla pubblicità nelle TV locali, dalla denominazione di ristoranti alle rubriche di messaggi nei settimanali a diffusione locale, ecc.“ (Grimaldi 2004, 123) – sind Dialekte vertreten. Sie spiegeln sich also nicht ausschließlich in der Mündlichkeit, sondern ebenso in der Schriftlichkeit wider.
Sprachhistorisch gesehen bilden Dialekte und Schriftlickeit in Italien eine kaum trennbare Einheit. Während im Laufe der Geschichte immer wieder Wechsel im Prestige der Dialekte und der Standardvarietät stattfanden, bildete sich der Dialekt jedoch nach und nach als Literatursprache heraus (vgl. Bochmann 1988; Michel 2004). Der Stadtdialekt Neapels stellte im 16. Jahrhundert einen der bedeutendsten dar. Er fand in der Welt der italienischen Literatur große Anerkennung und entwickelte sich „zu einer selbstständigen Literatursprache“ (Michel 2004, 1). Die Importanz des neapolitanischen Dialekts zeigte sich „vor allem im Theater (neben Prosa und Lyrik) bis in die Mitte des 20. Jhs.“ (Bochmann 1988, 272).
Un tempo la poesia dialettale veniva studiata dai filologi; i vari linguaggi regionali erano fonte inesauribile di un materiale che offriva spunti per discussioni ampie e precise sulle etimologie, sulla storia delle parole, sulle trasformazioni; che quei materiali fossero versi era appena un fatto casuale, quasi da non considerare. Oggi invece, fermo restando che le cattedre universitarie si occupano dei processi legati alla persistenza, alla perdita dei dialetti o al loro mutamento, i poeti in dialetto vengono guardati con altro occhio, con altro riguardo ... (Maffia )
Die Dialektologie als wissenschaftliche Forschungsrichtung beschäftigt sich allerdings hauptsächlich mit gesprochenem Dialekt und vernachlässigt die Disziplin der dialektalen Schriftlichkeit weitestgehend (vgl. Michel 2004, 4). Maffia allerdings bezeichnet vor allem die dialektale Posie einst als unerschöpfliche Quelle wissenschaftlicher Untersuchungen, heute allerdings werden Dialekte meist auf ihre sprachwissenschaftlichen Hintergründe reduziert und sich mit diesen beschäftigt. „La dialettica tra locale e globale nella quale si muove oggi l’italiano ha portato alla ribalta l’uso scritto del dialetto“, merkt (Pistolesi 2004, 38) an und bezieht sich damit eben auf die oben genannte Diversifizierung, die durch die neue Globalität entstanden ist. Im Laufe dieser Arbeit soll die verloren geglaubte dialektale Schriftlichkeit genauer betrachtet werden, denn besonders „[d]as Internet als interaktives Massenmedium [...] hat Dialekten und Minderheitensprachen die Chance eröffnet, aus der Nische literarischer Kleinkunst herauszutreten“ (Michel 2004, 5). Es ergeben sich daher interessante Dynamiken hinsichtlich möglicher Konversationen in Dialektsprache ergeben, vor allem in neuen Formen von Online-Kommunikation Bezug (vgl. Grimaldi 2004, 124).
3.1. 3.1 Dialekt im Internet
Bei der Betrachtung von Dialektgebrauch in der Schriftlichkeit, sticht heute vor allem das Internet als neue Plattform für Sprache und somit auch Dialekte heraus. Es finden sich zahlreiche Dialekten gewidmente Internetseiten, die meist von Sprachschützern oder Dialektliebhabern geleitet und aufrechterhalten werden. Auf diesen Seiten kommunizieren Verfasser von Posts oder Forumsbeträgen bewusst und grundsätzlich nur in Dialekt. Diese können als „élites di cultori del dialetto“ bezeichnet werden (vgl. Cerruti ) . Mit diesen Äußerungen stehen sie für eine wesentliche Unterstützung der regionalen Sprachen und Traditionen im Web im Gegensatz zur omnipräsenten Nationalsprache (vgl. Fiorentino 2005, 111).
3.2. 3.2 Dialekt in Computer Mediated Communication
Diesen absichtlich dialektal geprägten Seiten stehen andere Formen der dialektalen Schriftlichkeit im Internet gegenüber. Das Internet liefert, besonders in der Computer Mediated Communication (vgl. Berruto 2005, 137; Fiorentino 2005, 111), eine Bandbreite an linguistischem Analysematerial zum Verständnis des allgemein durchlebten Sprachwandels. Es ist dabei besonders interessant auf die Sprachstrukturen einzugehen, die sich von Oralität hin zu Schriftlichkeit gewandelt haben (vgl. Berruto 2005, 137). Diese Merkmale sind wesentlich, da es sich hierbei um Interaktionstypen handelt, „che prima non si davano, non esistevano“ (Berruto 2005, 137f.). Unter Berücksichtigung der bereits gelieferten Fakten zu den Dialekten in Italien, ist davon auszugehen, dass in der neuen computer- bzw. internetbasierten Schriftlichkeit auch diese eine zentrale Rolle spielen. Besonders in Chats und Konversationen in Foren tun sich neue Formen des Dialektgebrauchs hervor, sie werden entweder systematisch verwendet oder treten ungeplant in unterschiedlichen Kontexten auf und erfüllen demnach verschiedene Funktionen (vgl. Fiorentino 2005, 111).
Die Besonderheit dieser Art von Kommunikation ist die besondere Nachahmung der Oralität in schriftlicher Art (vgl. Pistolesi 2004, 10). CMC hat einige Charakteristika, die sie von oraler face-to-face-Kommunikation unterscheiden. Durch den hohen Grad an Anonymität sind im Verhalten der User von CMC ein Anstieg der Aggressivität und des Vertrauens festzustellen. Die in CMC offenbarte Aggresivität wird auch flame genannt, während der Anstieg des Vertrauens meist die Bekanntgabe persönlicher Merkmale meint und als self-disclosure bezeichnet wird (vgl. Pistolesi 2004, 12). Auch orthografische Fehler, die beim Tippen der Nachrichten entstehen können, unterscheiden sie eindeutig von mündlicher Kommunikation.
Da Dialekt in der Regel mündlich übermittelt wird, stellt dieser ein besonderes Interessensgebiet in der neuen medialen Schriftlichkeit dar. Im folgenden Kapitel wird ein Korpus authentischer CMC hinsichtlich der Funktionen, die Dialekt einnimmt und besonderen Auffälligkeiten bezüglich des intrafrasalen Wechsels zwischen Dialekt und Standarditalienisch, analysiert.
3.3. 3.3 Funktionen von Dialekt in internetbasiertem kommunikativen Sprachgebrauch (in CMC)
Dialekt kann in internetbasierter Kommunikation unterschiedliche Funktionen einnehmen, die im folgenden zusammengefasst werden sollen. Das Korpus soll aufgrund dieser Grundlage hinsichtlich der dort auftretenden Funktionen untersucht werden. Berruto (2006) schlägt eine Kategorisierung der möglichen Funktionen der Verwendung von Dialekten vor (vgl. Fiorentino 2005, 115):
- valore effettivo/reale
- valore espressivo/ludico
- valore simbolico/ideologico
- valore museografico/folcloristico
Unter der vierten Kategorie werden eben genannte dialektale Internetseiten verstanden, die der Sprachpflege dienen und der Ausstellung dialektaler Folklore dienen. Daher ist diese als wenig vital zu verstehen, da Dialekt nicht aktiv gebraucht wird. Die Vitalität steigt von letzterer zu ersterer hin exponentiell an. Der symbolische bzw. ideologische Wert der Dialekte bezeichnet die Verwendung dieser als Instrument zur Darstellung und symbolisch-ideologischen Unterstreichung von Referenz und soziokulturellen Werten. Die zweite Kategorie umfasst Dialekte als Sprachvarietät, die eine größere Ausdruckskraft besitzen als die Nationalsprache und ausdrucksvoll und spielerisch verwendet werden können und die erste versteht den Dialektgebrauch als natürlich und damit als Gebrauchssprache (vgl. Fiorentino 2005, 115). Auch (Grimaldi 2004 125f.) erhält auf Basis einer Analyse von Chats ähnliche Ergebnisse. Bezeichnend ist seine Darstellung der Verwendung von Dialekt als rhetorisches Mittel zum Gebrauch von Ironie, was sich mit der zweiten von Berruto genannten Kategorie deckt. Außerdem ermittelt er Dialektgebrauch als Signal von "avvenuta comprensione di meccanismi pragmatici già messi in atto all'interno della conversazione" (vgl. Grimaldi 2004, 126).
4. 4 Untersuchung der Spotted-Seiten
Für die geplante Analyse unterschiedlicher dialektaler Phänomene im schriftlichen Sprachgebrauch in CMC wurde ein authentischer italienischsprachiger Korpus aus Facebook-Posts erstellt. Zu diesem Ziel die Seite Spotted: „Sapienza“ – Università di Roma zu Rate gezogen, da sie unter allen vertretenen italienischen Universitäten die größte Resonanz zeigt und die meisten „Gefällt mir“-Angaben zählt. Das Korpus basiert auf einer Sammlung von Posts dieser Seite im Zeitraum von 24. Februar 2016 bis 29. Februar 2016 und stellt so die Analysegrundlage für diese Seminararbeit dar. Insgesamt 60 Posts und die dazugehörigen Kommentare sollen auf ihre Sprache hin untersucht werden, dialektale Merkmale und deren Funktionen (inwiefern stimmen sie mit den in Kapitel 3.3 genannten Kategorien überein?) sollen hierbei besonders fokussiert werden. Da die Seite stark frequentiert wird, werden die Posts von den Administratoren durchnummeriert und veröffentlicht. Aufgrund der hohen Anzahl an Einsendungen scheint es, dass einige der Nachrichten nicht publiziert werden. Das Prinzip der Spotted-Seiten, die seit einigen Jahren existieren (Spotted: „Sapienza“ – Università di Roma besteht seit 2013) ist die anonymisierte Vermittlung von Nachrichten, die öffentlich gepostet werden. Ein Großteil der Posts umfasst Bilder, auf die in den Kommentaren Bezug genommen wird. Auf der Seite Facebook verwenden die meisten User keine Nicknames, sondern ihren realen Namen. Beim Niederschrieb der Posts wurden die sogenannten Emoticons völlig außer Betracht gelassen und werden auch keinen relevanten Einfluss auf die Analyse nehmen. Wenn im Korpustranskript hinter einem Namen nichts steht, hat die betreffende Person in der Regel entweder ein einzelnes oder eine Kombination mehrerer Emoticons, ein Bild, ein Foto oder eine Animation verwendet. Emoticons sind nicht „un codice di autonomo (peraltro già ampiamente repertoriato e illustrato da più punti di vista), e mi limito a fenomeni che sfruttano gli aspetti grafici della realizzazzione meramente linguistica del messaggio“ (Berruto 2005, 146). Auf diese Weise soll auch die folgende Korpusanalyse durchgeführt werden. Um zunächst identifizieren zu können, welche Äußerungen dialektal markiert sind, wird der dialetto romanesco erläutert.
4.1. 4.1 Der dialetto romanesco
Da Facebook-Posts der Seite Spotted: „Sapienza“ – Università di Roma Gegenstand der Analyse sein werden, liegt es nahe, dass die dialektalen Äußerungen bzw. Verschriftlichungen in dialetto romanesco, dem Stadtdialekt Roms, auftreten. In diesem Kapitel soll daher eine Analysegrundlage geschaffen werden, die die Charakteristika dieses Dialekts anführt. Die Untersuchung der Posts soll auf dieser beruhen, um so zweifelsfrei alle möglichen Formen der dialektalen Schriftlichkeit offenzulegen. Es folgt eine kurze Angabe der Hauptmerkmale in der Morphosyntax und der Lexik des dialetto romanesco, bzw. des "italiano de Roma" (Trifone 2008, 108):
- Die Umwandlung von i zu e (z.B. in den Reflexivpronomen me, te, se, ce, ve anstatt mi, ti, si, ci, vi; Präposition de statt di)
- Wechsel von l zu r, z.B. in der Verwendung des Determinativartikels er anstatt von il, außerdem in arto anstatt alto
- Apokope (apokopierte Infinitive, z.B. anda’, sta’, di’ anstatt andare, stare, dire; apokopierte Anredeformen, z.B. dottò!, Marcè! anstatt von dottore!, Marcello!; apokopierte 1./3. Person des Verbs essere zu so’)
- Aphärese (Aphärese der Vokale vor Nasallauten, z.B. ‘n anstatt von un, ‘no anstatt von uno, me ‘nteressa anstatt von mi interessa; Aphärese der Demonstrativpronomen, ‘sto, ‘sta, ‘sti, ‘ste anstatt von questo, questa, questi, queste)
- Assimilation von nd > nn und mb > mm
- Verwendung des Monophthongs ò anstatt des Diphothongs uò, z.B. in bono, bona
- “Neutrale” Pluralbildung auf -a, z.B. le mela, du’ora
- Pluralbildung mit li, z.B. in li cavalli oder li fiori
- Lexikalische Besonderheiten, z.B. Verwendung von apposta anstatt ‘appunto per questo’, farsi anstatt von ‘procurarsi’, al contrario anstatt von ‘d’altra parte’
- Konstruktion von stare a + Infinitiv anstatt der Konstruktion stare + Gerund (Trifone 2008, 98ff.)
4.2. 4.2 Dialektale Schriftlichkeit in den Posts
Die Untersuchung des Korpus hinsichtlich der oben genannten Merkmale des dialetto romanesco liefert unterschiedliche Ergebnisse. Zunächst ist festzustellen, dass entgegen der Erwartungen - wir erinnern uns, dass in der Umfrage des ISTAT 2012 unter den Befragten 18 bis 74-Jährigen nur 9% angeben in der Familie, weitere 9% mit Freunden und lediglich 1,8% mit Fremden Dialekt zu sprechen (siehe Kapitel 2.1) - erstaunlich viele dialektale Markierungen in den Posts auftreten. Es ist allerdings zu beachten, dass in der ISTAT-Umfrage eine weitere große Sprechergruppe (32,2% in der Familie, 30,1% mit Freunden und 10,7% mit Fremden) Dialekt in Verbindung mit der Standardvarietät gebraucht. Wird aber das Medium der Kommunikation berücksichtigt, ist gewiss, dass es sich bei den anonymisierten Facebook-Posts nicht um familieninterne Kommunikation handelt. Es stellt sich weiterhin die Frage, ob damit demnach also Kommunikationsmuster unter Freunden oder unter Fremden thematisiert werden und welche der Angaben den tatsächlichen Ergebnissen näher kommen. In der Regel sind sich die Nutzer, die der Seite Spotted: „Sapienza“ – Università di Roma auf Facebook folgen, fremd. Auffällig ist jedoch, dass in vielen der Kommentare ein Link zum Profil eines Freundes, bzw. Bekannten hergestellt wird, um diejenige Person auf den Post aufmerksam zu machen. Daher ist anzunehmen, dass es sich bei der Art der Kommunikation, die über die Posts und besonders über die Kommentare stattfindet um eine Mischform des Sprechens, bzw. Schreibens mit Freunden und Fremden handelt.
Bei der genauen Analyse der im Korpus enthaltenen Posts konnten einige der von Trifone genannten Charakteristika des romanesco ausgemacht werden. Außerdem treten weitere sprachliche, (möglicherweise) dialektal geprägte Merkmale auf, die nun zusammen mit ersteren präsentiert werden. Bei der grafischen Darstellung der aufgezeigten Merkmale wird die Nummer des Posts genannt und die dazugehörende Aussage wird im Korpus fettgedruckt und unterstrichen markiert, sodass sie leicht identifiziert werden kann.
4.3. 4.2.1 Die Umwandlung von i zu e
Die Umwandlung von i zu e tritt besonders häufig bei den Reflexivpronomen auf, die anstatt mit i mit e wiedergegeben werden. Bei der Analyse des Korpus konnten insgesamt 25 umgewandelte Reflexivpronomen ausgemacht werden, die ungefähr gleich oft auftreten. Außerdem wird auch der Zustimmungspartikel sì zu se bzw. see (mit verlängertem e) umgewandelt (siehe #12330.4, #12210.7, #12192.7).
Weiterhin ist die Aussprache und bei der Untersuchung des Korpus gefundene Verschriftlichung der Präposition de (für di) auffällig. Trifone (2008: 108) spricht vom "italiano de Roma", dessen "posto d'onore spetta naturalemente alla e protonica in de". Dieses Phänomen kann im Korpus 14 Mal ausgemacht werden und bestätigt so seinen wesentlichen Beitrag in der Verschriftlichung des dialetto romanesco. In einigen der Fälle wird das de in Kombination mit anderen dialektalen Merkmalen verwendet, wie beispielsweise in #12312 Ragazza de Latina che stai al terzo anno fai storia de l'arte sappi che l 'arte più bella l'ha fatta tu madre, #12312.1 Daniele Campanari "So' de Latina" (cit. storiche), #12312.6 Джорджия Д'Анджело "Ma la tua de madre, guarda npo' sto stronzo " Cit., #12210.12 Gianluca Bianco Servirebbe la versione femminile de sta roba, #12191.2 Elio Ferrari Ahò, anche se de poco, ma io faccio a fidàmme [...] tu me prepari n'inferno de malintesi, co' tutte 'e fiamme... Die Verwendung von de in dialektalem Umfeld beläuft sich auf neun Fälle, während die isolierten de nur vier sind.
4.4. 4.2.2 Der Wechsel von l zu r
Die im dialetto romanesco so häufig mündlich auftretende Derivation er des Artikels il findet sich auch im Korpus in Schriftform, allerdings nur in drei Fällen, wieder. Im dritten Fall liegt eine Kombination des de + er > der vor: #12312.11 Evelina Terrana poeti der pratone. Außerdem tritt ein weiterer Wechsel von l zu r auf, in #12312.8 Alïce Giacon A dorce!!
Alles in allem dominiert hinsichtlich dieses Phänomens die standarditalienische Schriftweise und es bleibt wohl doch eher der Mündlichkeit vorbehalten.
4.5. 4.2.3 Apokope
Auffällig ist, dass die Merkmale der Apokope des romanesco in der Sprechsprache auch auf die Schriftsprache zutreffen und häufig in unterschiedlichen Kategorien verwendet werden.
Die Verwendung der Apokope so' als Kurzform von sono in der 1. Person Singular und 3. Person Plural tritt im ganzen Korpus insgesamt fünf Mal auf und steht den 45 ausgeschriebenen Formen von sono gegenüber. Während nur eine der Äußerungen unabhängig auftritt, #12210.20 So io?!, fällt ins Auge, dass diese Apokope oft in Kombination mit anderen dialektalen Merkmalen auftreten, wie z.B. in #12330.11 me so mortaaa, in #12312.1 "So' de Latina", in #12250 I casi so' due, o è 'na gran fregna oppure è 'na buzzicona indegna oder in #12191.7 [...] io so seria! Pago veramente una piotta e mezza.
Außerdem treten 17 Formen der Infinitivapokope auf bei denen sich die Schreibweise hinsichtlich der Setzung des Akzents unterscheidet. Zehn der Formen sind mit Gravis markiert, bei sieben wurde gar nicht markiert.
Die apokopierten vokativischen Anreden, die von Trifone als typisch für den dialetto romanesco erwähnt werden (2008: 100), zeigen sich in den untersuchten Posts. Auch hier gibt es Unterschiede in der Akzentuierung, ebenso wie bei den Infinitivapokopen sind einige Formen mit Gravis, andere nicht markiert. Besonders auffällig ist die Anrede ragazzi, die den apokopierten Formen ragà (#12289.1) und rega (#12192.4) im gleichen Verhältnis gegenübersteht. Daraus kann geschlossen werden , dass die dialektale Form der standardsprachlichen gleichwertig gegenübersteht.
Der affirmative Aussage va bene wird in der schriftlichen Wiedergabe, ähnlich wie im Mündlichen, apokopiert. Es stehen im Korpus vier Apokope drei ausgeschriebenen Formen gegenüber. Es treten allerdings drei unterschiedliche Schreibweisen auf, vabbè (2x) (#12251.2, #12191.3), vabbé (1x) (#12343.4) und vabbe' (1x) (#12210.7), was sich jedoch in der Aussprache als irrelevant zeigt.
Auch bei den Präposition per und con fallen die auslautenden Konsonanten weg, im Korpus ist das für pe' (#122510, #12191.3, #12191.6) drei Mal festzustellen (dem gegenüber 95 per) und für co' (#12210.6, #12210.7, #12191.2) vier Mal (gegenüber 62 con).
4.6. 4.2.4 Aphärese
In der dialektalen Schriftlichkeit des romanesco treten einige Aphäresen, vor allem bei den Demonstrativpronomen questo, questa, questi, queste, auf. Im Korpus finden sich 34 ausgeschriebene Demonstrativpronomen, denen 22 Aphäresen 'sto (vier Mal in #12360.11, #12357.1, #12312.2, #12288.1), 'sta (fünf Mal in #12360.2, #12293.1, #12210.10, #12210.12, 12190.1), 'sti (8 Mal in #12210, #12210.6, #12210.8, #12210.14, #12192.1) und 'ste (4 Mal in #12276.1, #12250, #12220.2, #12210.22) gegenüberstehen. Es zeigt sich also, dass sich diese dialektale Schreibweise der Demonstrativpronomen auch in der Schriftlichkeit weitestgehend durchgesetzt hat.
Außerdem sind einige Aphäresen von Vokalen vor Nasallauten hervorzuheben. Insgesamt sechs Mal kann 'na als Aphärese des unbestimmten, femininen Artikels una gefunden werden, 'n von uno zwei Mal und ein Mal tritt auch die von Trifone erwähnte Aphärese des Adverbs non zu 'n in der Kombination 'nce (#12251.1 Erika Alteri [...] nce poi annà [...]). In #12360.12 Edoardo Morellini Che 'gnuranza wird ein selbstständiges Lexem mit einer Aphärese versehen. Auffällig ist, dass die Aphärese des unbestimmten, femininen Artikels besonders in der Lexemkombination mainagioia bzw. mai na gioia auftreten: #12251.4 Giulia Frezza Mai na gioia nella vita mia ahhahaahha, #12251.8 Chiara Spagnesi Mainagioia, #12251.11 Camilla Savaglio #mainagioia Chiara Marinazzo, #12251.14 Martina Echelon la Verde Ahahahah mainagioia !! Diese Kombination ist allerdings eine Art Modeerscheinung und wird häufig in sozialen Netzwerken verwendet und ist daher nicht als besondere dialektale Merkmale zu verstehen.
Weitere Aphäresen können in einem Kommentar festgestellt werden, in dem der Konsonant l in den Artikeln la und le weggelassen wird und 'a und 'e daraus wird: #12191.2 Elio Ferrari [...] sta 'a costruzione tu me prepari n'inferno de malintesi, co' tutte 'e fiamme [...]
4.7. 4.2.5 Assimiliationen
Auch Beispiele für die von Trifone (2008: 99) genannten Assimilationen von nd > nn treten im Korpus auf, #12210.11 Lunana Alfonso [...] quannomepare und #12210.18 Gi De Sillort [...] mannate [...] sind hierfür allerdings die einzigen Beispiele. Eine weitere Assimilation, die auch im mündlichen Sprachgebrauch häufig zu hören ist, ist die von rs > ss, die einmal in #12210.7 Simone Er Cella Mazzoni [...] fasse [...] schriftlich realisiert wird.
Es fällt auf, dass diese Art dialektaler Merkmale, ebenso wie der Wechsel von l zu r, keinen Einfluss auf die Schriftlichkeit nehmen und wohl eher ein der Mündlichkeit vorbehaltenes Phänomen darstellen.
4.8. 4.2.6 Verwendung des Monophthongs o anstatt des Diphthongs uo
Im Korpus können einige wenige Monophthongierungen des Diphthongs uo zu o ausgemacht werden, die von Trifone (2008: 109) ebenso beschrieben wurden. Folgende Beispiele sind von der Monophthongierung betroffen: #12330.8 Riccardo Foti Stabbonaaaaa, #12293.2 Simone Bottone Agostinelli È fori metrica zi', #12251.1 Erika Alteri [...] nce poi annà [...] und #12250.17 Luca Apile W l'omo d'altri tempi! Auch hier gibt es keine allgemeingültige Übereinstimmung der Äußerungen mit anderen dialektalen Merkmalen im Satz; bei einigen treten die Monophthongierungen in dialektalem Umfeld auf, bei anderen nicht.
4.2.7 Konstruktion stare + a + Infinitiv
#12343.2 Giovanni Sbordone Luca Petrone stai a studia cosi tanto [...] und #12210.14 Mattia Mancini [...] Sta a pensá all'amore sind zwei Beispiele für die Konstruktion von stare + a + Infinitiv, die üblicherweise mit stare + Gerund ausgedrückt wird. Es fällt auf, dass beide Äußerungen eine Kombination der Infinitivakopoke und der Konstruktion stare + a darstellen. Sie sind damit doppelt dialektal markiert und ein Beweis dafür, dass diese Besonderheit des romanesco im Mündlichen mit großer Gewissheit verwendet wird, sich in der dialektalen Schriftlichkeit allerdings noch nicht weiter durchgesetzt hat. Möglicherweise gerade wegen der extremen Situation, zwei dialektale Merkmale gleichzeitig zu verwenden.
4.9. 4.2.8 Lexikalische Besonderheiten
Die Verwendung von farsi anstelle von procurarsi di qualcosa ist auch bei der Untersuchung des Korpus aufgefallen, da diese Äußerung insgesamt drei Mal auftritt. Interessant ist, dass auch hierbei mehrere dialektale Merkmale kombiniert werden. Das erste Beispiel #12357.1 Chiara Bernabei Sara Placidi, me lo faccio sto cappottino [...] tritt in Kombination mit einer Demonstrativpronominalaphärese auf und das nächste #12191.8 Marcello Al Quadrato [...] Fatte una ragione kombiniert die Umwandlung von i > e mit farsi.
Es finden sich im Korpus weitere lexikalische Besonderheiten, die von Trifone nicht erwähnt werden. Da sie einzeln auftreten, aber trotz allem stets ein Bezug zum dialetto romanesco besteht, sollen sie hier die Kategorie ergänzen.
Zunächst konnte der Ausdruck anvedi ausgemacht werden #12312.9 Selene Veglianti Anvedi! Fai conquiste! XD. Dieses Lexem ist ein im romanesco auftretender Ausdruck von Erstaunen oder Anerkennung, den das Standarditalienische nicht kennt.
Außerdem wird einmal roscio verwendet, die Bezeichnung für eine rothaarige Person, die typisch für das Zentralitalienische, aber auch seit einiger Zeit für das romanesco ist. Das Beispiel lautet folgendermaßen: #12210.8 Giulia Corsini [...] E invece un roscio è fuori concorso subito?
#12360.1 Eugenio Serra Quando c'è vò c'è vò ahahaah beinhaltet ebenfalls einen typischen Ausdruck des romanesco, der von dem Poeten Armando Volpi geprägt wurde.
4.10. 4.2.9 Weitere Auffälligkeiten
Außer der zahlreichen dialektalen Merkmale ist auffällig, dass einige Posts englische Ausdrücke enthalten. Im Korpus wurden insgesamt 22 englische Äußerungen ausgemacht.
Zusätzlich ist ein von (Pistolesi 2004, 12) aufgezeigtes Merkmal, der hohe Grad an Aggressivität in der CMC, der als flame bezeichnet wird, vertreten. Insgesamt 40 Mal fallen Kraftausdrücke und gegenseitige Beschimpfungen auf. In den meisten Fällen werden diese allerdings zur Verstärkung der Aussage verwendet und richten sich nicht gegen einen anderen Nutzer persönlich.
Als letzte Auffälligkeit ist die häufige Nutzung von sogenannten Hashtags festzustellen, die der Hervorhebung einer Aussage dienen und diese im WWW wiederauffindbar macht. Interessant sind diejenigen Fälle, in denen dialektale Merkmale mit Hilfe eines Hashtag kommuniziert werden, wie in folgenden Beispielen: #12330.7 Federica D'Elia Ahahahhah c'è una speranza allora anche per noi #poracce [...] oder #12251.3 Rebecca Di Marcotullio Ma pure prima! [...] #vogliomori oder #12251.11 Camilla Savaglio #mainagioia.
5. 4.3 Funktionen des Dialektgebrauchs
Es fällt auf, dass sich die Funktionen des verschriftlichten Dialekts im Wesentlichen in zwei der von Berruto genannten Kategorien festmachen, in den valori effettivi/ reali und den valori espressivi/ludici.
In der Kategorie der spielerischen und ausdrucksvollen Dialektfunktionen, tritt besonders Ironie und die Referenz auf vorher erwähntes als wesentliches Merkmal auf. Dies lässt sich besonders gut an #12312 Ragazza de Latina che stai al terzo anno fai storia de l'arte sappi che larte più bella l'ha fatta tu madre festmachen. Auf diesen dialektal geprägten Post reagieren zahlreiche User ebenfalls mit dialektalen Äußerungen, vermutlich um den Autor der Nachricht auf den Arm zu nehmen. #12312.1 Daniele Campanari "So' de Latina" (cit. storiche), #12312.4 Livia M. Perronace de latinaaaa hahahaha non c'è mai fine al peggio Linda MJ Hassan, #12312.6 Джорджия Д'Анджело "Ma la tua de madre, guarda npo' sto stronzo " Cit., #12312.7 Annalaura Carfagna Storia de l arte und #12312.8 Alïce Giacon A dorce!! sind nur einige der dialektalen Antworten.
Auch der verstärkte Dialektgebrauch in #12191 fällt in diese Kategorie, in den Kommentaren von #12191.3 bis #12191.7 findet ein stark dialektal geprägter Dialog zwischen drei Personen statt, den einer der Konversationsteilnehmer letztendlich mit #12191.6 Simone Bottone Agostinelli Dario, stavamo a giocà non credo nessuno dei due fosse serio, pe' fortuna! als Scherz auflöst. In diesem Dialog wurde durch den Dialekt die Absurdität der Konversation weiter verstärkt.
Dialektale Ausdrücke können auch als Referenzmittel auftreten. In #12360.1 Eugenio Serra Quando c'è vò c'è vò ahahaah stellt der Autor dieser Äußerung eine anaphorische Verbindung zu seinem zuvor ohne dialektale Prägung geschriebenen Post her, da ein anderer Nutzer positiv auf diesen reagiert. Um den Inhalt und die Bedeutung des ursprünglichen Posts zu verdeutlichen greift er auf diesen typischen romanesco-Ausdruck zurück.
In der Kategorie des realen, tatsächlichen Sprachgebrauchs, lassen sich vor allem die oben bereits beschriebenen Apokope der Infinitive und der Anreden festmachen. Diese werden spontan verwendet und treten meist in nicht-dialektaler Umgebung auf, was darauf hinweist, dass sie zwar dialektal geprägt, aber nicht Teil einer fingierten Aussage sind und der Person in der Schnelligkeit der Interaktion "unabsichtlich" untergekommen sind.
6. 5 Fazit
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Schriftlichkeit in der Computer Mediated Communication, die auch die untersuchten Facebook-Posts umfassen, eindeutig dialektale Prägungen aufweisen. Dies ist hinsichtlich der stetig sinkenden Dialektsprecherzahlen und den Kommunikationsbereichen überraschend, da die Studie des ISTAT zeigt, dass der Dialektgebrauch besonders in der Kommunikation mit Fremden äußerst reduziert ist. Da es sich bei der sozialen Plattform Facebook um ein öffentliches Kommunikationsmedium, besonders im Fall dieser öffentlichen Posts (private Chats ausgenommen), handelt, hätte davon ausgegangen werden können, dass kaum Dialekt verschriftlicht wird. Die oben genannte Mischform der Kommunikation mit Fremden und mit Freunden hat sich also bewahrheitet. Die gezeigten Ergebnisse lassen darauf schließen, dass Dialekt vor allem als rhetorisches Mittel gerne und häufig auch im Schriftlichen verwendet wird.
Inwiefern sich diese Entwicklung des Dialekts in der Schriftlichkeit entwickelt, ist weiter zu verfolgen. Interessant ist hierbei auch die Verwendung des Englischen als mögliche Konkurrenz zum Dialekt, die den Aussagen spezielle Expressivität verleiht. Wie bereits in der vorliegenden Untersuchung angemerkt wurde, wird häufig auch auf das Englische als rhetorisches Werkzeug verwendet. Allerdings ist und bleibt der Dialekt doch ein Mittel der Verbundenheit mit der Heimat und wie eingehend erwähnt wurde, spielt diese in Zeiten der Globalisierung für viele Menschen (insbesondere auch Jugendliche) eine besonders wichtige Rolle, vielleicht wichtiger als je zuvor.