Blachi ac pastores Romanorum — Rumänische Schafhirten?

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Schlagwörter: Rumänien , Rumänisch , Transhumance

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  1. Referenz auf den gesamten Beitrag:
    Rudolf Windisch (2021): Blachi ac pastores Romanorum — Rumänische Schafhirten?, Version 1 (31.05.2021, 16:33). In: Stephan Lücke & Noemi Piredda & Sebastian Postlep & Elissa Pustka (Hrsgg.) (2021): Linguistik grenzenlos: Berge, Meer, Käse und Salamander 2.0 – Linguistica senza confini: montagna, mare, formaggio e salamandra 2.0 (Korpus im Text 14), Version 1, url: https://www.kit.gwi.uni-muenchen.de/?p=74910&v=1
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Aus der von den Herausgebern der Festschrift für Thomas Krefeld vorgeschlagenen Plattform von längeren Artikeln, kürzeren wissenschaftlichen Denkanstößen oder Anekdoten aus vier weitgefassten Themenbereichen mit jeweils zwei Stichwörtern habe ich aus der Schublade Nr. vier das Stichwort „Schafe“ ausgesucht, ein Thema, das – wie aus dem Folgenden ersichtlich – mit dem Milchprodukt „Käse“ aus Nr. drei thematisch in engstem Zusammenhang steht.

In der für die ungarische Geschichte wichtigen Chronik, den Gesta Hungarorum des anonymen Notarius P., der am Hofe des ungarischen Königs Béla III. (Regierungszeit 1172-1196), tätig war, werden u.a. Blachii ac pastores Romanorum erwähnt. Wenn wir sie behelfsmäßig, vor einer weiteren Erörterung, als rumänische Schafhirten identifizieren dürfen, wäre damit das Schlagwort „Schafe“ unseres Beitrags umrissen – ein Aufhänger für manche Wandertour in den Karpaten, verbunden mit Begegnungen mit rumänischen Hirten auf weitgestreckten Weidegebieten, Almen und in Höhenlagen. Bei solchen Touren waren bisweilen Hirten zu hören, die auf einfachen Holzflöten uralte Melodien bliesen, von denen manche auf (soweit noch vorhanden) CDs mit „Muzica populară“ zum Nachhören gespeichert sind. Wir haben eine solche fröhliche Flöten-Melodie noch im Ohr, mitgesungen im rauen Männer-Chor von Hirten auf einer Alm:

Vin ciobanii de la munţi / cu căciulile în frunţi (Text frei nach Gehör, nur der Anfang: es kommen die Hirten von den Bergen / mit den Pelzmützen in der Stirn).

In diesem kurzen melodiösen Einsatz klingt das im Titel genannte Thema an, Hirten, die mit ihren Schafherden von den Bergen herunterkommen, d.h. von einer Sommerweide, von weitem erkennbar an ihrer typischen bäuerlichen Männertracht, dem Lammfellmantel und Felljacken (rumän. şubă, blană, cojoc) und einer Pelzmütze (căciulă). Neben dieser – zugegeben – simplen sozialen Zuordnung der Männer als Hirten in typischer Kleidung, provozieren die Wörter der hier gehörten Melodie eine Erörterung eines Teils des rumänischen Wortschatzes. Handelt es sich nicht doch um eine nachgewiesen romanische Sprache, mit eindeutig lateinischem Ursprung, wie z.B. die Elemente munţi (Pl. mask., ohne Artikel, < lat. mons   / montes) oder frunţi (Pl. fem., ohne Artikel, < lat. frons  / frontes) belegen? Woher stammt ciobani (Pl. mask. unartik.; ciobanii Pl., Art.), erkennbar nicht-romanischen Ursprungs? Die weitverbreitete Bezeichnung für den Hirten, ciobani, ist türkischer Herkunft, bekannt neben dem lat.-rum. păcurar (< lat. pecurarius); zur Etymologie von căciulă = alb. sulë (infra).

Im Folgenden einige Bemerkungen sowohl zu Schafen und Hirten, zur Weide- und zur Milch- und Käsewirtschaft: Als Oberbegriff gilt die Transhumanz. Darunter versteht man eine Form der Weidewirtschaft, bei der das Vieh, meist Schafe und Ziegen, den Sommer über auf den Gebirgshöhen weiden, den Winter in den schneefreien Tälern und Ebenen verbringen. Die oft größeren Schafherden gehören – im Gegensatz zum Nomadismus – einer sesshaften Bevölkerung und werden, je nach dem klimatischen Sommer- und Winterwechsel von Hirten zu ihren Weideplätzen geführt und dort bewacht. Diese Art von Weidewirtschaft geht – nicht nur im Bereich des Balkans / Südosteuropas – auf eine Jahrtausende alte bäuerliche Lebensform der Fleisch-, Milch- und Käseproduktion zurück, die das Alltagsleben verschiedenster Völker in den sozial- und gesellschaftspolitisch unterschiedlichsten Staatsformen sicherte. In seinen Gesta Hungarorum, geschrieben um 1200, hatte jener Anonymus P. auf die pastores Romanorum und ihre Herden / greges eorum (infra) sowie auf die Hirtenweidewirtschaft in der Pannonia angespielt. Als ein Beispiel für die auch noch heute praktizierte Form der Transhumanz bzw. Wanderweidewirtschaft, auch Fernweidewirtschaft genannt, sei hier auf den Beitrag von D. Lindemann1 über zwei Ortschaften in Siebenbürgen verwiesen, auf die Poiana Sibiului in der Mărginimea Sibiului („Randbezirk von Sibiu“) im Südwesten des Kreises Sibiu/Hermannstadt, und auf Covasna, im Osten Siebenbürgens, im Gebiet der Kreishauptstadt Covasna im Szeklerland (ung. Székelyföld, rum. Ţinutul Secuiesc; die Szekler sind eine ungarischsprachige Bevölkerungsgruppe unbekannter Herkunft). Die Poiana /„Aue“, am Bach Poieni gelegen, zählte 2011 2.548 Einwohner auf einer Fläche von 23,47 km2. Unter dem Stichwort Poiana Sibiului finden sich im Internet zahlreiche mit rumänischer Volksmusik untermalte Videos, die über das Leben vor Ort Einblick bieten, vor allem zum Thema Weidewirtschaft, z.B. zu Schaf- und Widdermarkt (târg de oi şi berbeci), Pferdemarkt (târg de cai), wo bei einem Musikfestival mit Volksmusik, Volksweisen auf einer Hirtenflöte gespielt werden; es singt Nelu Ban Fantana ein melancholisch-trauriges Lied: Vine toamna iar mi-e dor (Es kommt der Herbst und ich habe Sehnsucht), im Hintergrund eingeschaltet ein Bild älterer Männer in schönster Tracht: weiße Mäntel, rum. cojoc / Pl. cojoace (< slaw. kožohŭ) aus dichtem Schaffell, mit innerem Schafwoll-Futter, eine blană, Pl. blăni / blănuri (bulg. Entlehnung) und mit Pelzmützen, căciulă / Pl. căciule aus Astrachan-Fell, usw.2

Bei Lindemann ist von 12.000 – 14.000 Schafen die Rede, wobei die einzelnen kleineren Siedlungen im Gebirge um Poiana Sibiului unterschiedlich große Sommer-Weidegebiete aufweisen. Auf ihnen stehen mehrere stîni / Sg. stînă (slaw. Herkunft, alte Entlehnung3), Almhütten / Sennhütten / Schäfereien, die den Schaf- und Viehherden oder auch den Hirten als Unterkünfte wie auch als Arbeitsplätze während der Transhumanz dienen, wie auch als feste Plätze für die Almwirtschaft. Diese meist einfachen Bauernhütten aus Holz, deren Seitenwände aus Holzstämmen und Astgeflecht errichtet, mit Lehm verschmiert sind, das Dach aus einfachen Schindeln, mit Grasmulden abgedeckt und Steinplatten beschwert, dienen als Sommeransiedlung der Schäfer. Zu unterscheiden ist zwischen ortsfesten Holzblockbauten und einfachen Konstruktionen, die sich im saisonalen Wechsel des Weideplatzes zerlegen und abtransportieren lassen. In der Poiana Sibiului stehen die festen Sennhütten mit Keller/ celar (< lat. cellarium) und gestampftem Lehm-, oder festem Holzboden, auf einer Höhe zwischen 1600-1700 Metern außerhalb der Dörfer. Hier finden die Tiere bestes Pflanzenfutter. Die stînă bildet den Mittelpunkt der Wirtschaftsarbeit der jeweiligen Sennerei, tîrlă (< bulg. tărlo) genannt, mit den nicht eingezäunten Bereichen um die stînă herum, wo die Tiere weiden und ruhen, mit den bordeiele (primitive Hütten / Erdhütten), die ţarcurile / Pferche, vor allem die strungă, der Melkpferch, in den die Schafe zum Melken hineingetrieben werden; es gibt nur einen Ausgang. Nachts werden die Schafe in einem eingezäunten Hofraum (pop.) bătătură untergebracht; für die Schweine, die tagsüber frei herumlaufen, gibt es den coteţ de porci, den Schweinekoben.

Kommen wir zu den im Titel genannten Blachii in den Gesta Hungarorum des Anonymus, dessen historische Berichte teilweise Ereignisse einer längeren Vorgeschichte der altrussischen Chronik aufgreifen. Diese wurde im Jahre 997 unter Fürst Vladimir dem Heiligen kompiliert und später in Nestors Повѣстъ временнъіхъ лѣтъ (Powest wremennych let, Erzählung der vergangenen Jahre) eingefügt; dort findet sich für das Jahr 6406 (= 898) folgender Bericht über die Landnahme der Ugren / Ungarn (Ѹгри)4:

Die Ungarn zogen an Kiew vorbei über das Gebirge, das das ungarische heißt. […] Von Osten gekommen strebten sie über die großen Berge, die die ungarischen Berge [Karpaten] genannt wurden und begannen, die dort Lebenden, Volochen4 und Slaven [Волхӏ и СловѢни], zu bekriegen. Vordem nämlich saßen dort Slaven,5 und die Volochen hatten das slavische Land erobert. Danach aber vertrieben die Ungarn die Volochen6 und nahmen dieses Land in Besitz und siedelten sich zusammen mit den Slaven an, die sie sich unterworfen hatten.

Nach Ansicht von Trunte (ebd.) identifizieren die meisten Leser die hier genannten Volochen mit Rumänen, was die ostslav. Namensform Волохъ nahelegt, ebenso wie die südslav. Влахъ regelmäßig mit „W(a)lachen, Rumänen“, während poln. Włoch / Włochy die „Italiener / Italien“ bezeichne; tschech. Vlašský dvůr „ital. Hof“; ostlav. Woloch „Rumänen“. Die Etymologie dieses europäischen ‚Wanderwortes‘ geht bekanntlich auf den bei Caesar belegten Stammesnamen der keltischen Volcae zurück (De bello gallico: 6.24) und wurde von Germanen auf die benachbarten Kelten übertragen, ahdt. wal(a)h und das Adjektiv wal(a)hisc (vgl. altengl. wealh in Wales „walisisch“, Cornwall; frz. (la) Gaule zu fränkisch walha; als welsch, d.h. „fremd, italienisch“, erhalten in Kauderwelsch, d.h. das den Süddeutschen / Alemannen unverständliche (Italienisch-) Sprechen in Chur/Graubünden; ganz allgemein: „wirres Sprechen“)5; ung. olász „Italiener“, Olaszország „Italien“, zu kroat.-slov. vlasi.6

Sind diese in der altruss. Chronik genannten V(o)loch aber Rumänen / rum. români (Pl. unartik.)? In jedem Fall sind sie für die rumänische Historiographie – wie Trunte (2006, 767, Anm. 9) mit Verweis auf einen der Altmeister der Disziplin, C. Giurescu7 vermerkt – der früheste dokumentarische Beleg für die Rumänen, und zwar im Norden der Donau. Unter diesem geographischen Blickwinkel war die (bis 1989 national-politisch gefärbte) Kontinuitätsthese der norddanubischen Herkunft der Rumänen und ihrer Sprache zu einem quasi politischen Glaubenssatz geworden. Bereits gegen Ende des 18. Jhs. hatte die Şcoala Ardeleană, die für die rumänische Aufklärung, bzw. den Illuminismus, bedeutende „Siebenbürgische Schule“ mit ihren Historikern, Theologen und Philosophen die These der Abstammung der Rumänen / Rumäniens (Siebenbürgens) von den römischen Kolonisten der Dacia Trajana aufgestellt.8 Die aus der Symbiose der autochthonen thrako-dakischen Bevölkerung mit Trajans Legionären im Zuge der Eroberung der Dacia Trajana im Jahre 105/7 n.Chr. hervorgegangene romanisierte Bevölkerung nahm hier, in der Dacia Felix Sarmizegetusa, der dakischen Festung gegen die Römer, ihren Ursprung. Wieso sollte man diese Kontinuität bis auf die heutigen Tage in Frage stellen – wenn man die Gleichsetzung jener vlochi Nestors mit den Vorfahren der heutigen Rumänen akzeptiert? Als Gegner dieser Kontinuitäts-These wurde vor allem R. Roesler9 von rum. Historikern und der rum. Sprachgeschichte kritisch vorgeführt, so z.B. von A. D. Xenopol.10 Eines der wichtigsten Argumente Roeslers (1871, 65-66) lautete: die Rumänen konnten nicht vor den Ungarn, den Deutsch-Sachsen [sic!] und Ruthenen im Norden der Donau gewesen sein; die Rumänen, ihr Gemeinwesen, habe sich auf der Balkan-Halbinsel, im Süden der Donau gebildet, wo römisches Leben nach dem IV. Jh. noch möglich gewesen sei, also nach der (angeblich) vollständigen Räumung der Dacia 275 n.Chr. durch Kaiser Aurelian und ihrer Verlagerung nach Süden, unter dem Namen Moesia Superior / Inferior); dort habe sie im Verlauf ihrer Immigration nach Norden albanische und südslawische Elemente bulgarischer Tönung sowie allgemein balkanisch-griechische Sprachelemente übernommen. Damit hatte Roesler die Kontinuität der Rumänen im Norden der Donau seit ihrer römischen Vorzeit in Frage gestellt. Roesler stand mit dieser Sicht in einer Forschungslinie von F. J. Sulzer und P. Hunfalvy.11 Weiter verweist Roesler (1871, 103) auf die süddanubischen Zinzaren (deren Name auf der Aussprache / Dentalisierung von lat. cinque > (tsintsi), unter griech. Einfluss beruht; Normrumänisch dagegen cinci mit präpalat. alveolarer stimml. Affrikate [tʃintʃ], wie ital. Anlaut cinque) und auf die Kutzovlachen, deren Sprache, das Mazedovlachische (heute meistens als aromân/ Aromunisch zitiert12) aufgrund lautlicher, lexikalischer und grammatikalischer Ähnlichkeiten ein „Schwesterdialekt des Dacorumänischen“ sei. Gegen Roeslers Hinweis auf die albanisch-rumänischen Wortparallelen (ursprünglich ging man von rumän. Entlehnungen aus dem Albanischen aus) als Argument zugunsten einer späteren Zuwanderung der Rumänen nach Norden, also der Immigration in das ehemalige römische Dazien, spricht, dass die Vorfahren der Albaner und der Rumänen nie in (sprachräumlichem) Kontakt miteinander standen. Daher gilt, worauf bereits Al. Philippide in seiner monumentalen Arbeit Originea Românilor (Der Ursprung der Rumänen) hingewiesen hatte13, dass von einem beiden Sprachen zugrundeliegenden indogerm. / thrako-dakischen Substrat auszugehen sei, aus dem beide Sprachen, nach je eigenem Phonetismus, eine Reihe von Elementen des Grundwortschatzes übernommen hätten; weiter identifiziert Philippide (1927, §342, §351) – die Substratforschung weitet sich fast unüberschaubar aus – die Albanejiĭ / Albaner mit den Illyrĭ, ihre Sprache sei das Illyrische.14

Aus dem thrako-dakischen Substrat zählt I. I. Russu (Etnogeneza, 1981, 245-426) alphabetisch geordnet, insgesamt 161 Substratwörter auf, von rum. ábure „Dampf“, „Dunst“ / alb. avull bis zgrîmá trans. / intr. Verb „kratzen“, „ritzen“. Aus der Liste der vielfach komplexen, nur schwer zu rekonstruierenden idg. Wurzeln seien hier nur einige, im allgemeinen Sprachgebrauch geläufige Beispiele, aufgelistet [unsichere Etymologie: (?)]: baltă (Pl. bălţi) Sumpf / balt; barză „Storch“ / barth, bardhi „weiß“; sîmbure „Obstkern“ / thumbulle̋ Knopf; mazăre „Erbse(n)“ / modhull bis hin zu viezure „Dachs“ / vjedhull; hier einige Beispiele für das rum. Hirtenwesen (păstorit): baciu „Senner“, „Käsemacher“ (alb. bats, rumän. Entlehnung?); ţarc „Gehege“, „Pferch“ (alb. thark); strungă (?) „schmaler Ausgang für Schafe“, „Melkpferch“; stînă (?) „Schäferhütte“, „Käserei“; caţă Hirtenstab mit Haken an der Spitze; ghioagă (?) „mit Nägeln beschlagene Streitkeile“ (arom. gl´oagă « houlette, la plaque métallique qui arme le bâton du berger à son extrémité »); căciulă (idg. Wurzel *kadh- „beschützen, bedecken“) „Pelzmütze“, alb. ksul); aus der Milch- Käsewirtschaft (lapte < lat. lactem): brînză „Käse“, zăr / zer „Molke“; urdă „Schafskäse“, „Ziegenkäse“, usw., insgesamt uralte Begriffe aus der vorrömischen Phase Dakiens, der Vorzeit des Rumänischen.

Mit Blick auf den lateinischen Ursprung des Rumänischen ist gerade für den sozial abgestimmten Bereich des Hirtenwesens, zusätzlich zu den genannten Substratwörtern, mit einer Reihe lateinischer Elemente zu rechnen, wie rum. păstor < lat. pastorius (= pastor) „Hirt“; oaie „Schaf“ (Pl. oile) < ovis Schaf (die einzige rom. Sprache, die das lat. Simplum ovis fortgesetzt hat); berbec < vervex „Hammel“; miel < agnellus „Lamm“; mioară < *agnelliola „Schaf nach dem ersten Wurf“ (vgl. den geläufigen rum. Frauennamen Mioriţa); turmă < turma „Herde“; mătrice < matrix, -em, „Muttertier mit den einjährigen Lämmern“ oder die noatini (Pl.) < annotinus und die „jungen Widder“: târţii (Pl.) < *tertianeus, usw.

Diese păstori (Pl.) leben, wie aus der uralten Weidewirtschaft in Europa bekannt, vor allem auf dem Balkan / Rumänien, im Sommer auf den Berghöhen, rum. munte / munţii und überwintern (iernează 3. Sg./Pl. < hibernare) in der Ebene / şes (< sessum); als reichhaltig erweist sich auch die lat. ererbte Terminologie für das Wortfeld „Wolle“ lână < lana und ihrer Verarbeitung, z.B. a toarce (Inf.) < torquere „spinnen“; fil < filum „Faden“ oder canură < cannula „grobe Wolle“, mit unterschiedlicher Technik gewonnen, je nachdem wie man die Wolle „schert“: a tunde (Inf.), unter dem Bauch herum oder um den Schwanz: a suvintra < *subventrare, auch mazedoromân / aromân suil´eare (< *subilare): tundere sub burtă şi sub coada15; rum. cioban (< türk. čoban) „Hirte“, ist auf alle Sprachen auf dem Balkan verteilt (zu unterscheiden von den sog. Balkansprachen wie Rumänisch und Albanisch): bulgarisch čoban, serb. čoban, alb. tschoban (= „pastor“ und „român“), neugriechisch τσοπάνος, während in Siebenbürgen / Ardeal noch der alte lateinische Terminus păcurar erhalten ist, wie auch in aromunisch picurár (vgl. Papahagi, s.v.), was für die weiten Sommer-Wanderungen der Hirten mit ihren (früher) riesigen Herden in die tiefer gelegenen Weidegebiete jenseits der unteren Donau spricht. Laut S. Puşcariu - H. Kuen16 erklärt sich die Verbreitung von rum. cioban – anstelle von păcurar „Hirte“ – wegen der Gefahr einer Homonymie mit păcură (< lat. picula) „Erdöl“, der Bezeichnung für die Gebiete im Süden Rumäniens, in denen Erdöl gewonnen wird (früher wurde); der păcurar hätte dort als *picularius verstanden werden können17 – möglicherweise eher ein Problem der linguistischen Deutung, die keine Deckung mit der ‚außersprachlichen Wirklichkeit‘ findet, da sich selbige hier auf zwei recht unterschiedliche Arbeitsbereiche bezieht, die sich realiter wohl kaum berühren dürften!

Bleibt neben den păcurari und den ciobani noch eine dritte Bezeichnung für die rumänischen Schafhirten, die mocani (Pl.). Auf der stark generalisierten dialektgeographischen (Flächen-)Karte Nr. 13 Cioban von Puşcariu-Kuen (Limba Română, 1943) entfällt auf den păcurar etwa 1/3 Anteil im rumänischen Begriffsfeld „Schafhirte“ auf den Bereich nördliches-zentrales Siebenbürgen / Ardeal (im Umfeld der Städte Satu Mare - Dej - Cluj - Turda - Odorhei). In einem gewissen Umfang erstreckt sich die räumliche Verteilung von păcurar über Gamillschegs „Kerngebiet“ der latein-rumänischen Kontinuität in den Westkarpaten (südwestliches Siebenbürgen) hinaus nach Nordosten (Rădăuţi - Iaşi, bis über den Pruth, Republik Moldova); der păcurar wird hier auch für das Aromunisch  /Meglenitische verzeichnet, während ein weiteres Kerngebiet bzw. Rückzugsgebiet der frühen Latinität an der unteren Donau von dem (türkischen) cioban belegt wird18.

Der/die mocan/i (Etymologie unklar) verteilen sich auf den übrigen, südlich anschließenden Bereich des Zentrums Siebenbürgen: Braşov/ Kronstadt - Ploieşti - Bucureşti - Craiova - Turnu-Severin; neben Einsprengseln des mocan im cioban-Gebiet, etwa um Sibiu, fällt ein weiterer, Nord-Süd ausgerichteter mocan-Einschub auf zwischen Bîrlad - Galaţi - Brăila. Wie aus dem Erscheinungsjahr von Puşcariu-Kuen (1943) hervorgeht, handelt es sich um Aufnahmen, die in Zusammenarbeit mit Emil Petrovici et. al. bereits vor 1940 durchgeführt wurden. So sind auf der Punktkarte Nr. 257 des MALR (Micul Atlas Lingvistic Român, Serie Nouă, Vol. I: Cioban) sechs ‚Hirtennamen‘ verzeichnet: für P. 228, 705 jeweils cioban und păstor; P. 836 cioban und ungurean (nur ein Beispiel); P. 605, 723: mocan, cioban; 235 păcurar und baci (Sg. baciu für Voiniceni / Tîrgu Mureş); möglicherweise lassen sich solche ‚Einsprengsel‘ im jeweils autochthonen păcurar oder im cioban- Gebiet durch den Zuzug dieser Hirten aus anderen Weidegebieten erklären; im Falle des singulären ungurean dürfte es sich um simple ethnische Zuordnung handeln aufgrund der Nähe (Ort Peştişani, Tîrgu Jiu / Craiova) zu Ungarn, südlich der Donau. Diese sprachräumliche Verteilung dürfte sich grosso modo erhalten haben – soweit diese uralte Weidewirtschaft / Transhumanz heute überhaupt noch in größerem Umfang betrieben wird.

Unter den mocani selbst sind zwei Gruppen zu unterscheiden: mocani im Raume von Sibiu / Hermannstadt, neben moroleni und colibaşi (zu rum. colibă, d.h. nach ihrer Unterkunft in primitiven Erdhütten?) und bârseni (nach der Ţara bîrzei (Burzenland?)) sowie in der Zone um Braşov-Săcele; eine andere, zweite Gruppe von mocani im Flusstal des Arieş, in der Ţara Moţilor (Motzenland), die aber keine Transhumanz (mehr) betreiben und sich bevorzugt als Viehzüchter niedergelassen haben.19

Zurück zum eingangs erwähnten Anonymus P.: nach neuester Forschung verbirgt sich hinter ihm der Propst Peter von Alt-Ofen, Notar am Königshof von Béla III. (Trunte 2006, 768, Anm.18). In seinen Gesta Hungarorum berichtet der Notar P. folgendes20:

Dicebant enim, quod ibi confluerent nobilissimi fontes aquarum, Danubius et Tyscia et alii nobilissimi fontes piscibus habundantes, quarum terram habitarent Sclaui, Bulgarii et Blachii ac pastores Romanorum. Quia post mortem Athile regis [im Jahr 444/5] terram Pannonie Romani dicebant pascua esse eo, quod greges eorum in terra Pannonie pascebantur. Et iure terra Pannonie pascua Romanorum esse dicebatur, nam et modo Romani pascuntur de bonis Hungarie.

Mit „Dicebant enim…“ sind die Kiewer Rus' gemeint, von denen die Ungarn über den Fischreichtum der Donau und der Tyscia / Theiss sowie über die terram Pannonie (die ungar. Tiefebene) hören, welche die Romani, die dort ihre (Schaf-)Herden weiden ließen, als ihre pascua, als ihren Weidegrund bezeichneten, weil dort ihre Herden weiden würden. Wer aber sind diese Romani, die im Mittelpunkt von Sclaui, Bulgarii und Blachii ac pastores Romanorum stehen? Könnten die Blachii mit den bereits für das Jahr 898 erwähnten V(o)loch gleichgesetzt werden? Sie wären dann bereits rund 300 Jahre vor ihrer Erwähnung in den Gesta des Anonymus bekannt, dem ersten ungar. Dokument, in dem die Blachen (z.B. in der Person eines ihrer Regenten, Gelou quidam Blacus) im südl. Transilvanien erwähnt werden. Die ethnische Identifizierung der vom Anonymus für diesen Raum aufgezählten Slaven und Bulgaren dürfte für den Zeitpunkt der Abfassung seiner Gesta kein Problem bieten, eher schon für den Zeitraum ihrer Ansiedlung auf der terram Pannonie; siedelten sie hier (in der antiken Pannonia?) bereits vor der Ankunft der Ugren / Ungarn? Laut Nestors Повѣстъ für das Jahr 898 stießen die Ugren, nachdem sie von Osten her über die ungarischen Berge gezogen waren, auf die V(o)lohi und die Sloveni, demnach die in der Pannonia ansässigen Bewohner. Wären damit mögliche Ansprüche einer ungarischen Erstbesiedlung des Raumes hinfällig? Vielleicht ließen sich derartige – heute nicht mehr ernsthaft verfolgte – polit-ideologische Narrative aus einer Rückschau auf den Weg ‚verifizieren‘, den die Ugren ‚an Kiew vorbei über die großen Berge‘ zurücklegten: nur kommt man ‚über die großen Berge‘, die Karpaten, auf dem Weg in die Pannonia, zunächst durch den Innerkarpaten Raum (Ultrasilvania, das Land jenseits der Wälder / ung. Erdély, rum. Ardeal). Auf wen stießen die Wanderer dort, auf Sclaui, Bulgari, auf Blachii und auf pastores Romanorum und Romani, demnach auf fünf verschiedene Volksgruppen? Weiter stellt sich die Frage, ob sich ein Teil der Ugren bereits jenseits des großen Gebirges festgesetzt hatte, oder ob das gros von ihnen in die pascua Romanorum, in die pannonische Tiefebene weiterzog?

Gegen den Versuch, in den Romani ‚Römer‘ als Vertreter des „Hl. Römischen Reiches deutscher Nation“ zur Zeit der Abfassung der Gesta sehen zu wollen, spricht sich St. Brezeanu21 aus: dem Begriff Romani käme damit eine exklusiv politische, keine ethnische Bedeutung zu. Diese ist für Brezeanu (1981, 1329) im Terminus pastores Romanorum eindeutig gegeben, da kein Zweifel über die Herkunft der in den Gesta genannten pannonischen Schäfer, der [rum.] „păstorilor pannonici“, bestehe, nämlich ihrer rumänischen. Aus dieser Perspektive steht die Konjunktion ac für die Identität der Blachii mit den pastores Romanorum. Die Blachii des Anonymus sind für Brezeanu (ebd.), wie angeblich auch für die meisten rumänischen und ausländischen Forscher, români, also Rumänen, die Nachfahren der dako-römischen Bevölkerung des Karpaten-Donauraums. Als ein eminenter Vertreter der ausländischen Forschung sei hier an E. Gamillscheg22 erinnert, der die durch Komma getrennten Ethnika Sclavi, Bulgari als ein Völkerpaar lesen möchte, als „Slawen bulgarischer Herkunft“ wie auch die Blachi ac pastores romanorum als „Hirtenbevölkerung romanischer Herkunft“. Gamillscheg beruft sich damit auf die bereits von N. Drăganu23 vorgelegte Erklärung. Gamillschegs Deutung wurde vereinzelt aufgegriffen, z.B. von Al. Madgearu, der die vier Ethnonyme – wie Gamillscheg – zu zwei Volksgruppen verbindet.24 Gamillscheg wird ausdrücklich von Deletant kritisiert, der bei der Vierer-Aufteilung bleibt.25 Widerspricht man Gamillschegs explikativer Deutung der Konjunktion ac ‚d.h.‘ / ‚das sind‘ und seiner Personifizierung von Slawen bulgarischer Herkunft, dann bleibt weiterhin die Deutung von vier Volks- und Hirten-Gruppen offen, nämlich Slaven, Bulgaren, Blachii und pastores Romanorum – gerade die beiden letzteren ethnisch nicht eindeutig bestimmbar. Zuletzt rechnet S. Paliga26 dem Anonymus eine genaue ethnische Zuordnung seiner in Kap. IX der Gesta genannten Ethnonyme an – gegen Madgearu, während Gamillscheg von ihm nicht erwähnt wird: laut Paliga handelt es sich definitiv um zwei Gruppen mit jeweils zwei Komponenten: 1. Gruppe die Sclavi (‚central-europäische Slaven‘) und die Bulgaren (‚balkanische Slaven‘), 2. Gruppe, die Blachi (romanicii occidentali – ‚die westlichen Romanen‘[?]) und pastores Romanorum (păstorii romanilor sau, mai exact, păstorii românilor ‚die Römer-Hirten‘ [?] oder ‚genauer‘ [?]: ‚die Hirten der Rumänen‘ – also doch vier Ethnonyme / Völker?

Möglicherweise finden sich auch außerhalb der Gesta Hinweise, die bei der Auflösung jener höchst umstrittenen Ethnika, auch bei der Identifizierung der pastores Romanorum weiterhelfen könnten? Trunte (2006, 772/3) verfolgt die Identität von Nestors Volochen mit den Blachii des Anonymus auf der Spur eines Berichts über Gewalttaten der Volochen gegen Donauslaven im undatierten Eingangskapitel Nestors Spalte 9; laut Trunte wird in Spalte 11 – ohne Nennung der Volochen – auf dasselbe Ereignis angespielt: „…in diesem Falle sollten die Volochen mit den hier [Sp. 11] genannten Bulgaren [Волгдре] oder den Weiß-Ungarn [Ѹгри] identisch sein.“ (vgl. das Adjektiv „weiß“ als Himmelsrichtung: „westlich“ / „im Westen“, vgl. älteres Bălgrad / Weissenburg / Karlsburg / rumänisch Alba Iulia in Siebenbürgen; Beograd / Belgrad, ungarisch Szekesfehérvár / Stuhlweißenburg („der im Westen gelegene Richterstuhl“); türk. Ak Deniz ‚weißes Meer‘ / Mittelmeer, vom Orient aus gesehen im Westen gelegen) – eine Deutung, die den wechselvollen Zeitläuften mit den zahlreichen Wander- und Eroberungsvölkern entsprechen könnte, deren Spuren kaum noch zu verfolgen sind.

Wo bleiben nun die Rumänen, sind sie doch die vom Anonymus genannten (und von ihm auf der pascua Romanorum gesehenen?) Blachii ac pastores Romanorum? Wer sonst, wenn nicht W(a)lachen, sollten jene pastores gewesen sein, die olász genannt wurden? Weshalb wurde olász zur Bezeichnung des fernen Olászország /‚Welsch-land‘ (-ország) eingesetzt? Deckte ung. olász (lautliche Adaptation von Blachii, Blacus und Blasii – nach Trunte (2006, 771, Anm. 31) – eine Latinisierung des südslav. Влахъ / Vlasi (Vlahi, Vlachi) nicht die Vorstellung von der jenem Welschland eigenen Romanität ab, die nun auch auf die pastores Romanorum, als ‚Römerhirten‘, sprich Rumänen, übertragbar wäre?

Trunte (2006, 778) spricht sich gegen eine unkritische Gleichsetzung der Volochen Nestors mit Rumänen aus: „Wir haben es hier mit einem vergessenen Volk mitten in Europa zu tun.“ Bleibt noch die Frage nach dem Wohnsitz der Bulgarii im genannten Donau und Theiss-Raum, handelt es sich um zeitgemäße Kenntnisse des Anonymus, oder kolportiert er Berichte byzantinischer Historiker wie etwa die von Niketas Choniates (1155-1213)? Laut Ostrogorsky27 ist bei Choniates in der umstrittenen Frage um die ethnische Zusammensetzung des sog. Zweiten bulgarischen Reiches (unter den Herrschern Asen I, 1186-1196, Peter 1196-1197 und Kalojan (< gr. καλός + Ioanitza /  Johannicius) 1197-1207) nicht von Bulgaren, sondern von Walachen die Rede. Papst Innozenz III. (*1161-1216) tituliert in seinem Briefwechsel (um 1200) Kalojan als nobilis vir, der sich selbst aber als Herrscher der Bulgaren und Vlachen zum imperator totius Bulgarie et Vlachie ausruft.28 Hier spielt wieder der geopolitische Hintergrund eine Rolle, handelt es sich um zwei Landesteile / Bewohner, (slav.) Bulgaren und (‚römische‘) W(a)lachen? Mit Вλάχοι waren die Bewohner von Bulgarien gemeint, ihre erste Nennung findet sich in byzantinischen Quellen des XI. Jh.29

Was veranlasste den Papst, dem selbsternannten imperator mit dessen römischer Abstammung zu schmeicheln: „Nos autem audito, quod de nobili Urbis Romae prosapia progenitores tui originem traxerint, et tu ab eis et sanguinis generositatem contraxeris …“ (vgl. Armbruster [Anm. 10], 33 Anm. 50)? Im Rahmen seiner Orientpolitik versuchte der Papst, Byzanz nicht durch einen Kreuzzug, sondern über eine Kirchenunion an den Stuhl St. Petri zu binden. (Ostrogorsky 31963, 342) Setzte Innozenz III. hierbei auch auf die Hilfe eines Kalojan? Erlaubt nun dessen fabulöse Abstammung qua ‚Römer‘ eine frühe Identifizierung jener Vlachen seines Imperiums mit den ‚römisch‘-romanischen Aromunen auf dem Balkan?

Laut Ostrogorsky (31963, 333/4, Anm. 5) ist „die ethnische Zusammensetzung des zweiten bulgarischen Reiches [1186] eine schwierige Frage. In den diesbezüglichen Schilderungen des Niketas Choniates [1155-1217; Nicetae Choniatae Historia] ist auffallenderweise nicht von Bulgaren, sondern von Walachen die Rede, und von diesen sprechen in erster Linie auch die zeitgenössischen abendländischen Quellen […].“ Aus weiteren Bemerkungen zur Frage dieser ethnischen Zusammensetzung schließt Ostrogorsky „…daß man damals als Walachen – die Bezeichnung hatte bekanntlich nicht nur ethische Bedeutung, sondern diente auch als Sammelbegriff für Hirtenstämme – die Bevölkerung des alten Mösien [Moesia Superior, Inferior /„Donaubulgarien“] bzw. des damaligen Thema Paristrion [byzant. Grenzdistrikt im Raum der Moesia, um 1000 gegründet] bezeichnete, da man unter Bulgaren vor allem die Einwohner des Thema Bulgarien, d.h. Makedoniens verstand.“ Zumindest bleiben die Vlachen in ihrer die genannten geographischen und politischen Grenzen übergreifenden sozialen Lebensweise, wie sie auch die Aromunen bis auf die heutigen Tage verfolgen, als (Schaf-)Hirten dokumentarisch erhalten.

So berichtet Kedrenos (11./12. Jh.) über die Ermordung eines David im Jahr 976 zwischen Kastoria (N-Griechenland) und Prespa / See bei den „Schönen Eichen“ durch Wandervlachen.30 Es handelte sich um den bulgarischen Prinzen David II., der von 977-979 regierte und 980 auf den bulgarischen Thron verzichtete. Er lebte also noch, zumindest in Kedrenos' Berichtsjahr 976:

…Δαβὶδ μὲν εὐθὺς ἀπεβίω ἀνειρεθεὶς μέσον Καστορίας καὶ Πρέσπας καὶ τὰς λεγομένας Καλὰς δρῦς παρά τινων Вλαχῶν ὁδιτῶν…

Unbeschadet dieser Falschmeldung liefert Kedrenos, dessen Berichte vielfach auf Kompilationen älterer Schriften beruhen (Moravcsik, Byzantinoturcica II, 273-275), den ersten Hinweis auf jene Вλάχοι ὁδίτοι, die mit ihren Herden die Balkanhalbinsel durchquerten (wobei Kedrenos selbst vermerkt, dass er in seiner Σύνοψις ἱστοριῶν die Epoche von 811-1057 fast vollständig von Ioannes Skylitzes abgeschrieben habe).31 Der Raum, in dem diese Blachi / Walachen (qua Vorfahren der süddanub. Mazedorumänen?) in der byzantinischen Geschichte erwähnt wurden, war die Мεγάλη Βλαχία, die Großwalachei, die den Donauraum sowie Makedonien und Thessalien umfasste (Ostrogorsky, 31963, 333). Das weite Gebiet in Griechenland und in Albanien wurden vermutlich bereits ab dem 12. Jh., vor allem in Bergregionen, durch Aromunen besiedelt.32

Ein weiterer Hinweis auf die Vlachen findet sich laut Moravcsik (Byzantinoturcica I, 21958, 350-352) bei Kekaumenos, der in seinem Στρατηγικόν (um 1071) in Berichten über Feldzüge des Kaisers Basileios II. (Beiname Bulgaroktonos, ‚Bulgarentöter‘, Regierungszeit 976-1025) gegen die Bulgaren auch über Aufstände der Vlachen berichtet habe – nur, welcher Gruppe lassen sie sich ethnographisch zuordnen, wenn die Bewohner von Bulgarien in den byzant. Quellen Βλάχοι genannt werden? (Moravcsik II, 21958, 91) Vermutlich galt diese Bezeichnung vorwiegend dem sozialen-wirtschaftlichen Status (Viehzüchter, Schäfer) eines Großteils jener Bewohner, ohne eindeutige ethnische Zuordnung. Für die Bulgaren, Slaven, dürfte sie nicht in Frage stehen. Nun sind die Vlach – wie längst bekannt33 und 2017 erneut beschrieben34 – auch in Serbien anzutreffen, südlich der Donau im Bereich der Flüsse Timok / Tимок / rum. Timoc (rechter Nebenfluss der Donau; die letzten 15 km bilden eine natürliche Grenze zum äußersten Nordwestzipfel Bulgariens), Mlava (Ostserbien) und Pek (nordöstl. Serbien, mündet bei Veliko Gradište in die Donau).

Es handelt sich um eine vorwiegend bäuerliche Gemeinschaft, allgemein zweisprachig, mit einer eher reduzierten, dem Alltag angepassten Varietät des Rumänischen / rumîn als Muttersprache und Serbisch, der Staatssprache, als offizielle Sprache. Diese Rumänisch-Sprecher gehen zurück auf Zuwanderer während des 18.-19. Jhs. aus der Kleinen und der Großen Walachei, von jenseits der Donau, aus Oltenien und Muntenien und aus dem Banat, die vor allem während des Krieges der österr.-ungar. Monarchie mit dem osman.-türk. Reich in Gebiete südlich der Donau zogen. Offensichtlich gilt der Begriff vlah von Mitgliedern der Gemeinschaft ihrer Mundart, indem sie mit der Annahme dieses Exonyms jede Beziehung zu einer Identifizierung mit Rumänen zurückweisen; das in der serb. / bosn. Umgangssprache geläufige Vlah, Pl. Vlasi bedeutet abwertend ‘Zigeuner’. So bleiben die ethnographischen Varianten Wlachen, Вλάχοι, Vlachi, Vlasi, ung. oláh (Sg.), osman.-türk. eflaki als Sammelbezeichnung für romanisch- / rumänischsprachige Volksgruppen, verstreut über Südosteuropa, in Kroatien, Serbien, Bosnien, Albanien, Bulgarien, Mazedonien, Griechenland; nördlich der Donau in Ungarn, in der Ukraine. Die Rumänen selbst haben auf das Exonym Walachen / Walachei im 18./19. Jhdt. verzichtet.

Sie leiteten ihre ethno-linguistische Selbstbestimmung, ihren Namen, den ihrer Nation, ihrer Sprache, doch längst schon von Rom ab: români, Țăra românească / România, limba română. Bleibt noch das Fazit des detailreichen, kritisch-fundierten Beitrags von Trunte (2006, 778): „Wer die Volochen Nestors letztlich wirklich waren, werden wir wohl nicht mehr mit Bestimmtheit ermitteln können. Gesichert scheint nur, dass die traditionelle unkritische Gleichsetzung der Volochen mit Rumänen keinen Bestand haben kann. Wir haben es hier mit einem vergessenen Volk mitten in Europa zu tun.“

Um Trunte zuzustimmen, müsste man der etymologischen Herleitung von Nestors Волъхве / Volochen und der Blachii des Anonymus aus einer gemeinsamen Wurzel, einem kelt.  / ahdt. walhisk / welsch, widersprechen. Die Volochen wären dann – in der Tat – wohl nicht mit den Blachii des Anonymus, auf der terra Pannonie, identisch (vgl. Trunte, 2006, 772). Lohnt sich aber die Suche nach einem vergessenen Volk, von dem wir nichts als ein Ethnonym haben? Ohne in den Verdacht jener unkritischen Gleichsetzung zu geraten, darf man in jenen Blachii balkanisch-rumänische Schafhirten sehen, die im Jahr 976, wie belegt, als Wanderhirten in (unrühmliche) Erscheinung traten.

Aus archäologischer, historischer und linguistischer Perspektive bietet die Suche nach der Herkunft der Rumänen, nach ihrer Kontinuität im Norden, weiterhin Ansatzpunkte zur kritischen Betrachtung; zweifellos rechtfertigt sie auch einen (ideologiefreien) Ausblick auf eine balkanische Romanität, vertreten durch das Aromunisch-Meglenitische im Süden der Donau.

Lindemann, Dietmar: „Fernweidewirtschaft“, in: Braunschweiger Geographische Studien, Sonderheft 3, 1979, 43-51; vgl. auch: Kahl, Thede: „Auswirkungen von neuen Grenzen auf die Fernweidewirtschaft“, in: C. Lienau (Hg.): Grenzen und Grenzräume in Südosteuropa, Südosteuropa-Jahrbuch 32, München 2001, 245-272; Kahl, Thede, Hirten in Kontakt. Sprach- und Kulturwandel ehemaliger Wanderhirten (Albanisch, Aromunisch, Griechisch), Berlin: LIT-Verlag 2008.
Unter www.landesarchiv-bw.de findet man unter Abt. Rumänische Tracht ältere Aufnahmen / Bilder von rumän. ciobani (Hirten).
Vgl. Russu, Ion Iosif: Etnogeneza Românilor. Fondul Autohton Traco-Dacic şi Componenta Latino-Romanică [Die Ethnogenese der Rumänen. Die autochthone thrako-dakische Grundlage und die latein-romanische Komponente], Bucureşti, 1981, 388/9.
Trunte, Nicolaos, Волхомъ во нашедшемъ на Словђни на Дунаискиӏа. „Spuren eines vergessenen Volkes im Donaubecken“, in: Studia Philologica Slavica, Festschrift Gerhard Birkfellner zum 65 Geburtstag, Teilband 2, hrsg. von Bernhard Symanzik, Berlin: LIT-Verlag 2006, 765-778, hier S. 765/6, dt. Übertragung.
Kluge, F./ Seebold, E.: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin 231995, 434.
Tamás, Lajos: Etymologisch-Historisches Wörterbuch der ungarischen Elemente im Rumänischen, The Hague 1967, s.v.
Giurescu, Constantin C.: Istoria Românilor, I: Din cele mai vechi timpuri pînă la întemeierea statelor române, Bucureşti 1975, 42-49. [Verf. war diese Edit. nicht zugänglich]
Windisch, Rudolf, „Die Şcoala Ardeleană“, in: Balkan-Archiv, N. F. 30/31, Jahrg. 2005/2006, 2009, 385-401.
Roesler, Robert: Romänische Studien. Untersuchungen zur älteren Geschichte Romäniens, Leipzig 1871, „Die Wohnsitze der Romänen im Mittelalter“, S. 63-145; „Die Anfänge der Ungarn und der anonyme Notar“, S. 147-230.
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Sulzer, Franz Josef: Geschichte des transalpinischen Daciens…, 3 Bde., Wien, 1781-1782); Hunfalvy, Pál: Az oláhok története [Geschichte der Rumänen], 2 Bde. Budapest, 1895; ung. oláh (Sg.) – die ältere ungar. Bezeichnung für „Rumäne“.
Kramer, Johannes: „Areallinguistik II. Aromunisch“, in: Holtus G., Metzeltin M., Schmitt Chr. (Hrsgg.): Lexikon der Romanistischen Linguistik III, Tübingen 1989, 217-247.
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Zum Illyrischen vgl. Krahe, Hans: Die Sprache der Illyrer, 2 Bde., 1: Die Quellen, Wiesbaden 1955; Duridanov, Ivan: „Thrakisch, Dakisch, Illyrisch“, in: Handbuch der Südosteuropa-Linguistik, hrsg. v. Uwe Hinrichs, 1998, 733-759.
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Solta, Georg Renatus: Einführung in die Balkanlinguistik mit besonderer Berücksichtigung des Substrats und des Balkanlateinischen, Darmstadt, 1980, 79.
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Zu den hier genannten Hirten-Bezeichnungen: https://ro.wikipedia.org/wiki/Mocani
zitiert nach Grzesik, Ryszard: „Blasi and Pastores Romanorum in the Gesta Hungarorum by an Anonymous Notary“, in: Res Historica (Lublinie / Lublin) 41, 2016, 25-34, hier 25/6.
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Drăganu, Nicolae: Românii în veacurile IX-XIII pe baza toponimiei şi a onomastici [Die Rumänen im 9.-13. Jh. auf Grundlage der Toponomastik und Onomastik], Bucureşti 1933, 13f.
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Paliga, Sorin: „Sclavi, Bulgari, Blachi ac pastores Romanorum“, in: Omagiu Profesorului Rebuşapcă la 80 de Ani [Festschr. Prof. R. zum 80. Geburtstag], Bucureşti, 2015, 467-475, hier S. 474.
Ostrogorsky, Georg: Geschichte des Byzantinischen Staates, München, 31963, 333/4, Anm. 5.
Zum päpstlichen Briefwechsel vgl. Bonfante, Giuliano, Studii Romeni, Roma, 1973: „L’idea dell’orígine latina del Romeno nei diplomi e negli scrittori dal sècolo VII al sècolo XVIII“, 307-344, hier 309-311.
Moravcsik, Gyula: Byzantinoturcica I. Die byzantinischen Quellen der Geschichte der Türkvölker, II. Sprachreste der Türkvölker in den byzantinischen Quellen, Berlin, 21958, I, 91.
Zitat aus Georgius Cedrenus, Ioannis Scylitzae Ope, tomus alter (Compendium historiarum 2), Bonnae 1839, ed. I. Bekkero, S. 435. (Digit.)
Hinweis Densusianu, Ovid: Origine de la langue Roumaine, I, Paris 1901, p. 209.
Großer Plötz321998, 628/9: Bulgarien, Albanien und Griechenland.
Vgl. Sikimić, Biljana: „Karavlachs in Bosnia and Hercegovina today“, in: Sikimić, B. /Ašić, Tijana (eds.): The Romance Balkans, Collection of papers, Belgrade, 2008, 227-246; Sorescu-Marinković, Annemarie: „The Bayash in Croatia: Romanian Vernaculars in Baranja and Medjimurje“, in: Sikimić / Ašić 2008, 173-225; Rez. Windisch, R.: „The Romance Balkans – eine vergessene Romania?“, in: Zeitschr. f. Balkanologie 46, 2010, 101-115.
Huţanu, Monica / Annemarie Sorescu-Marinković, A., „Writing systems and linguistic identity of the Vlach community of Eastern Serbia“, in: Diacronia 7, 2018, 1-14; www.diacronia.ro (abger. 13.12.2017).

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