Der goldene Apfel aus Kydonia – Kulturgeschichte und Wandel von Obstbezeichnungen in der Romania

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Schlagwörter: Quitte

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  1. Referenz auf den gesamten Beitrag:
    Teresa Gruber (2021): Der goldene Apfel aus Kydonia – Kulturgeschichte und Wandel von Obstbezeichnungen in der Romania, Version 1 (31.05.2021, 16:33). In: Stephan Lücke & Noemi Piredda & Sebastian Postlep & Elissa Pustka (Hrsgg.) (2021): Linguistik grenzenlos: Berge, Meer, Käse und Salamander 2.0 – Linguistica senza confini: montagna, mare, formaggio e salamandra 2.0 (Korpus im Text 14), Version 1, url: https://www.kit.gwi.uni-muenchen.de/?p=75000&v=1
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1. Ein Blick auf die Kulturgeschichte der Quitte

Aus der Sicht des Botanikers ist sie ein eindeutiger Fall. Kulinarisch ist sie heute eher eine Seltenheit und führt neben Äpfeln, Birnen und Orangen ein Schattendasein. Linguistisch, insbesondere etymologisch betrachtet, handelt es sich in mancher Hinsicht um eine Preziose. Die Rede ist von der Quitte, eine Kernfrucht der Gattung Cydonia oblonga, die der Familie der Rosengewächse angehört. In der Antike war sie ein Symbol für Liebe und Erotik, weshalb klingende Beinamen wie Goldapfel, Apfel der Aphrodite oder Hesperidenapfel entstanden. In der griechischen und römischen Küche standen Quittenzubereitungen fest auf dem Speiseplan (vgl. 2.2 und 4.). Heute findet man sie zu Gelee oder Quittenbrot verarbeitet zum Beispiel als herbsüße Beilage zu würzigem Käse. Zu den bekannten und beliebten Obstsorten zählt die Quitte jedoch nicht. Weder in Deutschland (vgl. Abbildung 1) noch in Italien – laut Statistischem Amt der Europäischen Union das europäische Land mit dem höchsten Obstverzehr – schafft es die Quitte auf die obersten Ränge der Statistik. Auch in Spanien, wo die Quittenproduktion EU-weit am höchsten liegt, wird sie nicht in großen Massen konsumiert (vgl. Abbildung 2).

Der geringe Quittenkonsum mag damit zusammenhängen, dass die Frucht roh kaum zu genießen ist. Außerdem ist ihre Produktion in Erwerbsanlagen nicht nur in Europa, sondern weltweit eher gering. Bis auf Spanien, wo immerhin 14.000 Tonnen Quitten pro Jahr produziert werden, beschränkt sich ihr Vorkommen in Europa überwiegend auf Hausgärten. Etwas anders liegen die Verhältnisse laut Worldatlas in Asien. Dort werden Quitten in einigen Ländern industriell angebaut, jedoch auch dort in weitaus geringerem Maß als andere Obstsorten. So stehen in der Türkei 135.406 Tonnen Quitten 2.925.828 Tonnen Äpfel gegenüber und in China liegen die Verhältnisse bei 125.000 zu 44.447.793 Tonnen. Weitere nennenswerte Anbaugebiete befinden sich in Nordafrika (Marokko und Algerien) und Südamerika (Argentinien) (vgl. Tabelle 1).

Rank Country Quince Production (in metric tons)
1 Turkey 135,406
2 China 125,000
3 Uzbekistan 80,000
4 Morocco 46,000
5 Iran 36,500
6 Argentina 27,500
7 Azerbaijan 27,140
8 Spain 14,000
9 Serbia 10,795
10 Algeria 10,516

Zwar mögen Angaben zu Konsum, Anbau und der Verbreitung einer Obstsorte zunächst nicht das Interesse von Linguisten wecken, andererseits eröffnet manchmal gerade der Umweg über Statistiken, soziohistorische und demographische Daten einen neuen Blick auf sprachliche Konstellationen. Thomas Krefeld hat sich das systematische Abschreiten solcher Umwege zur Aufgabe gemacht und viele Schüler ermutigt – beispielsweise bei der Erforschung kommunikativer Räume –, den Blick jenseits systemlinguistischer Fragestellungen schweifen zu lassen. Insofern sind auch Befunde zu Konsum, Anbau und Verbreitung der Quitte nicht nur kulturgeschichtlich relevant, sondern können als echte Bezugsgröße mit Sprachdaten kombiniert werden und dadurch neue Aspekte der Wort- und Sachgeschichte zu Tage befördern. Vergleicht man beispielsweise die Zahlen zum Quittenanbau der Aktualität mit dem Ursprungsgebiet der Pflanze am Kaspischen Meer, so zeichnet sich ab, dass die Geschichte der Verbreitung der Frucht als Kulturpflanze auch eine Geschichte von Kultur- und Handelskontakten gewesen sein muss. Da es nun, nicht zuletzt auf Grund zahlreicher Befunde aus der Romania, bekannt ist, dass Handelsrouten und Migrationswege stets zu Sprachkontaktszenarien führen1, ist auch anzunehmen, dass die Quitte als kleiner Spielball ihre Spuren in den entsprechenden Kontaktsituationen hinterlassen haben muss. Die Untersuchung von Wandel, Variation und Entlehnung von Quittenbezeichnungen in der Romania kann dann dazu dienen, frühe Sprach- und Kulturkontakte von Zentralasien, über den Mittelmeerraum bis nach Mitteleuropa und Lateinamerika nachzuzeichnen.

1.1. Herkunft und Etymologie

Laut Söcknick-Scholz (1997) stammen die Ursprungsformen der heute verbreiteten Quittensorten aus den Regionen des Südkaukasus und den südlichen Regionen um das Kaspische Meer. Von dort aus verbreitete sich die Wildpflanze zunächst östlich bis nach China und westlich bis nach Griechenland (Söcknick-Scholz 1997, 15), wobei die Vorkommen im Mittelmeerraum bereits sekundäre Formen aus Verwilderungen älterer Kulturen waren. Über die im Süden der Apenninenhalbinsel siedelnden Griechen und die Etrusker wurde die Quitte weiter westlich verbreitet und die Römer brachten die Pflanze schließlich vom Mittelmeerraum bis nach Mitteleuropa und Britannien, wo sie noch heute als Kulturpflanze bekannt ist. Von der Iberischen Halbinsel aus wurde die Quitte später in die neue Welt exportiert. Heute gilt sie in Südeuropa, Nordafrika, Mitteleuropa und Südamerika als eingebürgert.

Im Übrigen ist ihr Vorkommen nördlich der Alpen bereits im 8. Jh. n. Chr. durch die Landgüterverordnung Capitulare de villis vel curtis imperii von Karl dem Großen belegt. Darin werden Quittenbäume unter den Nutzpflanzen gelistet, die in Gärten angebaut werden sollten (vgl. Abb. 3).

De arboribus volumus quod habeant pomarios diversi generis, pirarios diversi generis, prunarios diversi generis, sorbarios, mespilarios, castanearios, persicarios diversi generis, cotoniarios, avellanarios, amandalarios, morarios, lauros, pinos, ficus, nucarios, ceresarios diversi generis.

Frühe Erwähnungen der Frucht in der griechischen Literatur gehen hingegen auf das 7. Jahrhundert v. Chr. zurück. Der Dichter Alkmán beispielsweise bezeichnet die Quitte als κοδύμαλον (döpp 1995, 341) (Athenaeus 2007, 452-453). Dabei handelt es sich um ein Kompositum, das aus den Wurzeln gr. malon apfelartige Frucht und kodu besteht. Die Bedeutung des zuletzt genannten Lexems, das vermutlich aus einer anatolischen Sprache ins Griechische entlehnt wurde, kann nicht eindeutig rekonstruiert werden (Beekes 2010, 797) (Simon 2018, 396). Es könnte sich um eine volksetymologische Identifizierung des Namens einer kleinasiatischen Stadt Kydōnía (κυδωνία) mit Kydonia, einer Stadt an der Nordküste Kretas (heute Chania) handeln. Mit der Entlehnung zu gr. κυδώνια μᾶλα (kydṓnia mā́la) hätte dann zugleich eine Umdeutung des Ursprungsgebiets der Quitte von Kleinasien in den Mittelmeerraum stattgefunden. Diese Annahme findet sich bei Isidor von Sevilla, der  in den Etymologiae (Buch XVII,7,4) die kretische Stadt als Namensspender und Herkunftsgebiet der Quitte nennt.

Mala Cydonia nomen sumpsit ab oppido qui est in insula Creta; de qua Graeci dicere solent urbium Cretensium matrem Cydoniam; ex cuius pomo cydonitum conficitur. Malomellum a dulcedine appellata, quod fructus eius mellis saporem habeat, vel quod in melle servetur [...] (Hispanensis 1911, 674)

Darüber hinaus verweist Isidor auf eine Bezeichnung für die Quitte, die einem anderen etymologischen Typ entspricht und auf dem ins Lateinische entlehnten Gräzismus lat. malomellum aus gr. μελίμηλον (Honigapfel, süßer Apfel) hervorgegangen ist. Sowohl sp. membrillo als auch pt. marmelo haben genau dieses Etymon fortgesetzt.

Kοδύμαλον wurde aus dem Griechischen ins Lateinische für die Bezeichnung des Fruchtbaumes als cotōneum (mālum) übernommen. Der erste lateinische Beleg für cotōneum stammt aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. und ist in De agri cultura von Cato d. Ä. zu finden (döpp 1995, 342). Andererseits verweist der lateinische Fruchtname cotōnea (Quitte) auch auf einen anderen etymologischen Pfad, denn er könnte durch Fusion mit der Pluralform lat. cottana (kleine syrische Feigen) – ebenfalls ein Gräzismus (gr. κόττανα) – hervorgegangen sein. Für diesen Wandel sprächen u. a. auch die überlieferten althochdeutschen Formen kottana und koʒʒana (Quitte) (Solmsen 1911, 244).

Auch Plinius d. Ä. bestätigt den Import der Quitte von Griechenland nach Rom in der Naturalis historia (Buch XV). Dabei werden neben dem Überbegriff cotonea auch Goldquitten bzw. Goldäpfel (chrysomela), neapoltanische Quitten (Neapolitanis), Sperlingsquitten (struthea), Mostquitten (mustea) und mulvianische Quitten (Mulvianum) genannt.

His próxima amplitudine mala, quae vocamus cotonea et Graece cydonea; ex Creta insula advecta. incurvatos trahunt ramos prohibentque crescere parentem. plura eorum genera: chrysomela incisuris distincta, colore ad aurum inclinato, qui candidior nostratia cognominat; odoris praestantissimi. est et Neapolitanis suus honos. minora ex eodem genere struthea odoratius vibrant, serotino proventu, praecoci vero mustea. strutheis autem cotonea insita suum genus fecere Mulvianum, quae sola ex his vel cruda manduntur [...]

Diesen Früchten kommen in der Größe jene Äpfel am nächsten, die wir Quitten und die Griechen kydonische (Äpfel) nennen; sie sind von der Insel Kreta eingeführt worden. Sie ziehen die gekrümmten Äste herab und hindern den Stamm am Wachstum. Es gibt davon mehrere Arten: Die Goldquitten [chrysámela], durch Einschnitte abgeteilt, haben eine nach Goldgelb gehende Farbe, deren hellerer Farbton (ihnen) den Beinamen die einheimischem gibt; sie weisen einen vorzüglichen Duft auf. Auch die neapolitanischen haben ihren Vorzug. Zu den kleineren derselben Art gehören die »Sperlingsäpfel«[stroúthia], mit einem stärkeren Geruch und spät reifend, (ferner) die Mostquitten, die aber früh zur Reife gelangen. Apfelquitten aber, auf die stroúthia gepfropft, haben zur mulvianischen Quitte geführt, einer eigenen Art, die als einzige von ihnen sogar roh verzehrt wird [...] (Plinius Secundus [1987] 2013, 130-131)

Letztlich kann die Etymologie von lat. cotōnea nicht eindeutig geklärt werden. Dabei stellt die Quitte jedoch keinen Sonderfall dar. Schließlich finden sich in der Diachronie der romanischen Sprachen zahlreiche Pflanzen- und Obstbezeichnungen, die sich durch Überlappungen von kohyponymischer Übertragung, Metapher und Volksetymologie gewandelt haben. Dies zeigt unter anderem Blanks Studie (1997) zu Bananenbezeichnungen im Portugiesischen, Spanischen und in den französisch basierten Kreolsprachen (Blank 1997). Darüber hinaus zeigt die Verbreitung des Basiskonzeptes APFEL, dass nicht-fachsprachliche Fruchtbezeichnungen eher selten botanischen Taxonomien folgen. Vielmehr basieren sie oft auf Eigenschaften wie Geschmack, Form oder Farbe. So kann die Kartoffel in einigen Varietäten der bairischen Dialektgruppe als Erdapfel und im Französischen als pomme de terre bezeichnet werden, ebenso wie die aus Mittel- und Südamerika stammende Tomate Paradies- oder Goldapfel (vgl. österr. Paradeiser und it. pomodoro) genannt wird. Auch sehr herbe Früchte wie der Kapernapfel oder sogar die ungenießbare Frucht des tropischen Baumes Clusia Rosea, die in Honduras sp. manzana ratón (Balsamapfel, wörtl. Mäuseapfel) heißt (Grandtner/Chevrette 2014, 140), werden durch das Quellkonzept APFEL versprachlicht.

Auch Columella unterscheidet in Buch V von De re rustica libri duodecim nicht strikt zwischen Äpfeln und Quitten, sondern zählt die Quitte mit ihren Unterarten zu den Äpfeln:

praeterea malorum genera exquirenda maxime Scaudiana, Matiana, orbiculata, Cestiana, Pelusiana, Amerina, Syrica, melimela, cydonea; quorum genera tria sunt, struthia, chrysomelina, mustea. quae omnia non solum voluptatem, sed etiam salubritatem adferunt. sorbi quoque et Armeniaci atque Persici non minima est gratia.

Desgleiche muß man an Apfelsorten vor allem die folgenden wählen: die Scaudianer, die Matianer, die Kugeläpfel, die Cestianer, die Pelusianer, die Ameriner, die Syrischen, die Honigäpfel und die Cydoneer; von diesen letzteren gibt es drei Unterarten: die Straußäpfel, die Goldäpfel und die Mostäpfel. Diese alle dienen nicht nur dem Genuß, sondern auch der Gesundheit. Auch die Arlesbeere, die Aprikose und der Pfirsich erfreuen sich nicht geringer Beliebtheit. (Columella [1981] 2014, 618-619)

Plinius d. Ä. hingegen vermerkt in der Naturalis Historia (Buch XV), dass streng genommen nicht alle Früchte, die lat. malum genannt wurden, auch dieser Gattung angehören:

Mala appellamus, quamquam diversi generis, Persica et granata, quae in Punicis arboribus novem generum dicta sunt [...]

Als Äpfel bezeichnen wir, trotz ihres Gattungsunterschieds, die Pfirsiche und Granatäpfel, von denen bei den punischen Bäumen bereits neun Arten beschrieben wurden (Plinius Secundus [1987] 2013, 130-131)[/note]

Zahlreiche romanische Sprachen setzen bis heute das lateinische Etymon cotonea fort. Beispiele dafür sind die Quittenbezeichnungen it. (mela) cotogna, fr. coign, prov. codonh, kat. codonyer, sard. chidònza und rätrom. cudogn (Meyer-Lübke 1935c, 226). Auch im Spanischen und Portugiesischen finden sich Spuren von lat. cotonea, obgleich die beiden Sprachen den Typ vlat. malomellum (Honigapfel) in sp. membrillo und pt. marmelo als Quittennamen fortgesetzt haben. Es ist der Pfirsich, auf den der Quittenname in diesen beiden Sprachen kohyponymisch übertragen wurde. Auf Spanisch wird er melocotón (Pfirsich) genannt, und das Portugiesische entlehnte dieses Lexem für eine spezielle Pfirsischsorte, nämlich den (pêssego) maracotão (wörtl. Apfelquittenpfirsich). Das rumänische Lexem gutui (Quitte) hingegen ist laut Meyer-Lübke slavischen Ursprungs (Meyer-Lübke 1935c, 226).

1.2. Symbol, Nahrung und Heilpflanze

In der Antike war die Quitte als Attribut der Aphrodite bzw. der Venus ein Symbol für Liebe, Fruchtbarkeit, Erotik und Glück. Es ist anzunehmen, dass es sich bei den Äpfeln der Hesperiden ebenso wie bei dem goldenen Apfel, mit dem Paris Aphrodite zur schönsten Frau der Welt kürte, wohl eher um eine Quitte als um einen gewöhnlichen Apfel handelte (Trumpf, 19-21)(Söcknick-Scholz 1997, 10). Bei Eheschließungen hatten Quitten in der Antike eine gesetzlich geregelte Funktion. Laut Plutarch schrieben die Solonischen Gesetze (6. Jh. v. Chr.) vor, dass Bräute vor Betreten des Brautgemachs Quittenstücke kauen mussten, denn der süße Wohlgeruch sollte in Kombination mit ihrem bitter herben Geschmack Freud und Leid in der Ehe symbolisieren und zugleich für einen angenehmen Duft der Frau sorgen (Kremp 2011, 21). Bei den Persern hingegen waren Quitten das einzige Nahrungsmittel, das dem Bräutigam am Tag seiner Hochzeit verabreicht wurde (Trumpf, 17). Als Duftspender wurden Quitten, wie Plinius d. Ä. berichtet, in Empfangsräumen von Männern ausgelegt (Plinius Secundus [1987] 2013, 136-137).

Darüberhinaus waren die seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. im Mittelmeerraum heimischen Quitten ein fester Bestandteil von Kochkunst und Medizin. Apicius empfiehlt in Kapitel V des achten Buches von De re coquinaria die Zubereitung von Kalb- oder Rindfleisch mit Lauch, Quitten, Zwiebeln oder Lotuswurzeln, gewürzt mit Liquamen, Pfeffer, Laser und Öl.

Vitulinam sive bubulam cum porris [vel] cydoneis vel cepis vel colocasiis: liquamen, piper, laser et olei modicum.(Apicius 1969)

Und in der Cena Trimalchionis werden mit Dornen bestückte Quitten aufgetragen:

Insecuta sunt Cydonia etiam mala spinis confixa, ut echinos efficerent. (Petronius 2014 [1937], 136)

Quitten wurden gekocht, gebraten, in Wein oder Honig eingelegt und zu einem Most verarbeitet verzehrt. Zudem galten Quittenzubereitungen als Heilmittel für unterschiedliche Leiden. Der griechische Arzt Dioskurides empfahl bei Magenbeschwerden rohe, gekochte oder in Honig eingelegte Quitten und gesüßten Quittenwein (Dioscorides 1902, 135-136). Zu einer Paste verarbeitet wurden Quitten als adstringierendes Präparat eingesetzt. Neben Plinius d. Ä. betont auch Marc Aurels Leibarzt Galenos, einer der bedeutendsten Ärzte des Altertums, diese Wirkung (Apicius 1969, 44,61,84). Plinius d. Ä. erwähnt neben vielen anderen medizinischen Anwendungsgebieten sogar die Wunderheilkraft der Quitte als Haarwuchsmittel. 

Als fruchtbarkeitsförderndes Mittel galt die Quitte noch bis in die Frühe Neuzeit. Der deutsche Mediziner und Botaniker Leonhart Fuchs empfahl beispielsweise in Kapitel 140 des New Kreuterbuch (1534) den Verzehr von Quitten in der Schwangerschaft als Garant für intelligente Kinder (vgl. Abb. 4):

So die schwangeren Weiber offt Kütten essen, sollen sie sinnreiche und geschickte Kinder geberen.(Fuchs 1543, 381-382)

Seit dem 16. Jahrhundert überlagerten sich allmählich auch kulinarische und medizinische Aspekte der Quitte. So schätzte man bis ins frühe 19. Jahrhundert Quittenprodukte einerseits als erlesene Süßigkeit, andererseits schrieb man ihm digestive und anregende Wirkung zu. Nostradamus listete in dem Kochbuch Excellent & moult utile opuscule à touts necessaire (1555) vier Quittenrezepte auf, darunter auch eine Anleitung zur Herstellung von Quittenkonfekt, das nicht nur hervorragend schmecke, sondern uneingeschränkt als kräftigende Medizin verzehrt werden könne (vgl. Abb. 5).

Im Elisabethanischen Zeitalter wurde die Zubereitung von Konfekt sogar zu einer Kunst kultiviert und ab dem frühen 17. Jahrhundert erschienen Kochbücher wie A Closet for Ladies and Gentlewomen (1608), die sich ausschließlich der Herstellung von Konfekt und dem sogenanntem banqueting stuff widmeten. Der Luxus, Banquetting stuff zu reichen, war der Oberschicht vorbehalten, denn die Herstellung dieser gewürzten und zuckerhaltige Süßigkeiten, die das Wohlbefinden und die Verdauung fördern sowie Geist und Libido anregen sollten, war äußerst kostspielig.2 Die Quitte spielte dabei auf Grund ihres hohen Pektingehalts und der daraus resultierenden Fähigkeit zu gelieren eine tragende Rolle. Unter anderem wurde aus Quitten, Zucker, Zimt, Muskatnuss und Blattgold ein Heilmittel hergestellt, das gegen Durchfall und Übelkeit eingesetzt wurde, das engl. diacitonium. Im Namen dieser Medizin tritt die griechisch-lateinsche Etymologie noch einmal deutlich hervor, denn er enthält das in England verbreitete mittellateinische Wort citonium (Quitte). (Norri 2016, 285)

To make Diacitonium simplex of Quinces.

Take of your Quinces, and pare them, and cut them in pieces, and boyle a pound of these pieces in a quart of faire water, till they be very soft: then let the liquor runne from them, then take a pound of Suger-candy, and beate it fine, and put it into that liquor, and let it seeth till you see it stand like Gelly, then take it from the fire, and put therein foure droppes of oyle of Cynnamon and Nutmegs, and then put in fiue and twentie leaues of fine gold and stirre it together, and so put it in fine Christall Glasses, and keepe it all the yeare. (Holloway 2011, 42-43)

Heute hat die Quitte in der Medizin keine nennenswerte und auch in der Naturheilkunde eine nur marginale Bedeutung.

2. Quittenbrot und Marmelade. Ein iberisches Erfolgsrezept auf dem Weg um die Welt

Die wahrscheinlich erfolgreichste Rezeptur zur Quittenverarbeitung wurde von der Iberischen Halbinsel aus verbreitet. Somit erklärt sich auch, weshalb sich gerade die innovative iberoromanische Variante sp. membrillo bzw. pt. marmelo (aus gr. melímēlon > vlat. *malimellum; vgl. 2.1) in vielen indogermanischen Sprachen als Lehnwort durchsetzen konnte. In Portugal wurden Quitten zu einem nahrhaften Mus verkocht und zu einer Paste eingedickt. Diese pt. marmelada (Quittengelee) diente den portugiesischen Seefahrern auf ihren Reisen nach Indien und Amerika im 15. und 16. Jahrhundert als Proviant. Auf ihren Ruten machten die Entdecker das Produkt bekannt und zugleich hinterließ das portugiesische Lexem Spuren in verschiedenen Sprachen. Dabei wurde die Bedeutung zur allgemeinen Bezeichnung für geliertes Obstmus erweitert. Heute findet man das Lexem in vielen romanischen Sprachen wieder, so zum Beispiel in it. mermellata, fr. marmelade, kat. melmelada, sp. mermelada und rum. marmeladă. Lediglich pt. marmelada hat die spezifischere Bedeutung Quittengelee beibehalten, während Marmelade als Überbegriff auf Portugiesisch geleia oder compota genannt wird. Auch in germanischen (z. B. dt. Marmelade, engl. marmalade, schwed. marmelad), in slavischen Sprachen (rus. мармелáд, pol. marmolada) und im Griechischen (μαρμελάδα) trifft man auf Entlehnungen diesen Typs. Allerdings ist nicht immer von einer Entlehnung durch direkten Sprachkontakt mit Portugiesischsprechern auszugehen. Die Bezeichnung für eingemachtes Fruchtgelee kann auch über das Französische oder das Italienische entlehnt worden sein.

Schließlich findet sich der Lusitanismus sogar im Japanischen wieder, allerdings nicht zur Bezeichnung von Fruchtaufstrichen, sondern als Name einer spezifischen Quittenart, dem marumero (木瓜).

Marumero
Significado: Árvore alta e decídua da família Rosaceae, nativa do oeste asiático e introduzida no Período Edo. Cultivada nas regiões de Tohoku e Shin'etsu. Floresce com flores brancas ou rosadas em maio. Seu fruto tem formato de pera, amadurece no outono e possui uma forte fragrância agridoce. Seus frutos servem para fazer doces ou enlatados. Etimologia: Vem do português marmelo. (Siqueira 2014, 26)

Auch in einigen Varietäten des Spanischen hat das Lexem membrillo gemeinsam mit der Verbreitung des Quittenbrots (sp. dulce de membrillo oder carne de membrillo) eine Bedeutungserweiterung erfahren. Im costa-ricanischen Spanisch beispielsweise hat sich membrillo als Überbegriff für Fruchtkonfekt durchgesetzt und laut DRAE (REAL ACADEMIA ESPAÑOLA) sind dort die Bezeichnungen sp. membrillo de guayaba (Guayabakonfekt) und sp. membrillo de manzana (Apfelkonfekt) verbreitet. Dabei hat membrillo einen Wandelprozess erfahren, bei dem der Name der Frucht, aus der man in Europa üblicherweise Konfekt herstellte, metonymisch auf das Produkt übertragen wurde. Allerdings wachsen in Costa-Rica und anderen zentralamerikanischen Ländern keine Quittenbäume, und somit werden andere Früchte zur Herstellung verwendet. Im Übrigen ist membrillo als Name für Fruchtkonfekt weiter verbreitet, als man laut DRAE vermuten könnte. Sogar für die Kollokation membrillo de melocotón (Pfirsichkonfekt), die etymologisch betrachtet gleich zweimal die Quitte enthält, findet man bei einer einfachen Google-Anfrage immerhin rund 2.700 Ergebnisse.

3. Die Quitte als Namensspender für Exotica

Mit der Kolonisierung Amerikas brachten Spanier und Portugiesen die Quitte nach Amerika und bauten sie im trockenen Süden, vor allem in Südbrasilien und Argentinien an. Eine größere Verbreitung fand hingegen der Name der ursprünglich aus Asien stammenden Frucht. Denn bei der Benennung der amerikanischen Flora griffen die Europäer in einigen Fällen auf die spanischen oder portugiesischen Namen der Quitte, des Quittenbaumes aber auch der berühmt gewordenen pt. marmelada zurück. Eine Recherche mit Hilfe des Dictionary of Trees, Volume 2: South America: Nomenclature, Taxonomy and Ecology (Elsevier's Dictionary of Trees) (Grandtner/Chevrette 2014) ergibt insgesamt 40 Belege für autochthon brasilianische Bäume und deren Früchte, die als marmelo (Quitte), marmelinho oder marmelito (kleine Quitte), marmeleiro oder marmeleira (Quittenbaum) oder marmelada (Marmeladenfrucht) bezeichnet werden (vgl. Tabelle 2). In den meisten Fällen handelt es sich um Bäume, die kleine bis apfelgroße Früchte tragen. Für die süße Frucht pt. apuruí, die im Amazonasgebiet wächst, exisitieren sogar drei portugiesische Namen, die das Lexem marmelada enthalten.

Typ Gesamt Varianten Sprache
marmelo Quitte 8 marmelo-do-campo Feldquitte (1), marmelo-do-mato Waldquitte (3), marmelo-bravo Wildquitte (2) br. Pt.
marmelinho kleine Quitte 6 marmelinho-do-campo kleine Feldquitte (2), marmelinho-do-mato kleine Waldquitte (1), marmelinho-do-cerrado kleine Savannenquitte (1) br. Pt.
marmelito kleine Quitte 1 marmelito-do-campo kleine Feldquitte br. Pt.
marmeleiro Quittenbaum 11 marmeleiro-bravo Wildquitte (2), marmeleiro-da-mata Waldquitte (1), marmeleiro-da-praia Strandquitte (1), marmeleiro-do-campo Feldquitte (1), marmeleiro-do-mato Waldquitte (1) br. Pt.
marmeleira Quittenbaum 1 marmeleira-do-mato Waldquitte (1) br. Pt.
marmelada Marmeladenquitte 13 marmelada-branca weiß Marmeladenquitte (1), marmelada-brava wilde Marmeladenquitte(1), marmelada-de-bola Kugelmarmeladenquitte (2), marmelada-de-cachorro Hundemarmeladenquitte (2), marmelada-de-olho-de-boi Ochsenaugenmarmeladenquitte (2), marmelada-preta scharze Marmeladenquitte(1) br. Pt.
Pt. marmelo, marmeleiro, marmelada usw. im brasilianischen Portugiesisch

Auch in den spanischen Varietäten Lateinamerikas finden sich Belege für den Export des Quittennamens in die Neue Welt. Sp. membrillo bzw. davon abgeleitete Derivationen und Komposita sind in oben genanntem Dictionary of Trees (Grandtner/Chevrette 2014) für 9 hispanophone Länder Amerikas insgesamt 27 Mal aufgelistet, wobei die Variation hier deutlich geringer ausfällt als im Fall des Portugiesischen (vgl. Tabelle 3). Für fr. coign (Quitte) und cognassier (Quittenbaum) finden sich hingegen keine Belege.

Typ Gesamt Varianten Sprache
membrillo Quitte 25 sacha membrillo Sachaquitte (2), membrillo de monte Bergquitte (1), membrillo hembra weibliche Quitte (1), membrillo macho männliche Quitte (2), almendrón membrillo Quittenmandelbaum (1) arg., col., dom., ecu., gaut., hon., pan., ven., Sp., Sp. in Belize
membrillito kleine Quitte 1 dom. Sp.
membrillejo kleine Quitte 1 ven. Sp.
Sp. membrillo und Derivationen in lateinamerikanischen Varietäten des Spanischen

4. Quittenbrot selber machen

Zutaten: 1 kg Quitten, 2 unbehandelte Zitronen (Saft und Schale einer Zitrone), 1  Zimtstange, Sternanis (nach Belieben), 600 g Gelierzucker (1:1)

Für das Mus den Flaum der Quitten mit einem trockenen Tuch abreiben. 1,5 l Wasser und den Saft der Zitronen in eine Schüssel geben. Die Quitten vierteln, das Gehäuse, den Stil und den Fruchtansatz herausschneiden und sofort in das Zitronenwasser legen, sonst verfärben sie sich.

Die Quittenstücke mit dem Zitronenwasser bedeckt in einen Topf geben, Zimt, Sternanis und die Schale einer Zitrone hinzufügen und zugedeckt ca. 40 Minuten bei milder Hitze kochen lassen, bis die Quitten weich sind.

Den ausgekochten Saft durch ein mit einem Tuch ausgelegtes Sieb ablaufen lassen. Zimtstange und Sternanis entfernen und die Quitten auskühlen lassen (Den aufgefangenen Saft kann man für Quittengelee weiter verwenden.)

Die Quittenstücke mit dem Stabmixer pürieren und 600 g abwiegen. Das Püree in einem großen Topf mit dem Gelierzucker (Verhältnis 1 : 1) aufkochen und dabei ständig mit einem Holzlöffel umrühren. Unter weiterem Rühren bei mittlerer Hitze ca. 40 Minuten einkochen lassen. Das Mus ist fertig, wenn eine zähe Masse entstanden ist.

Die Masse auf ein gefettetes oder mit Backpapier ausgelegtes Backblech füllen und glatt streichen. 2-3 Tage bei Zimmertemperatur trocknen lassen. Am besten kann man es in einer Dose auf Pergamentpapier geschichtet in Stücken aufbewahren. Passt zu Käse und schmeckt manchen auch als Süßigkeit.

 

Bibliographie

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  • Athenaeus 2017 = Athenaeus (2017): Delphi Complete Works of Athenaeus, vol. 83 Athenaeus, Hastings, East Sussex, Delphi Classics.
  • Beekes 2010 = Beekes, Robert (2010): Etymological Dictionary of Greek, Leiden, Boston, Brill.
  • Blank 1997 = Blank, Andreas (1997): Nenn' nie Banane nur Banane! Zur Bezeichnungsgeschichte einer Frucht im Portugiesischen, im Spanischen sowie in Kreols mit französischer lexikalischer Basis, in: Philologie im Netz, vol. 1, 2-16 (Link).
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  • Nostradamus 1555 = Nostradamus , Michel de (1555): Excellent & moult utile opuscule à touts necessaire, qui desirent avoir cognoissance de plusieurs exquises receptes, divisé en deux parties . La premiere traicte de diverses facons de fardemens & senteurs pour illustrer & embellir la face. La seconde nous monstre la façon & maniere de faire confitures de plusieurs sortes... Nouvellement composé par maistre Michel de Nostredame, docteur en medecine de la ville de Salon de Craux en Provence, Lyon, Antoine Volant (Link).
  • Petronius 2014 [1937] = Petronius (2014 [1937]): Das Gastmahl des Trimalchio. Latenisch und Deutsch. Hrsg.von Carl Hoffmann , Berlin, De Gruyter.
  • Plinius Secundus [1987] 2013 = Plinius Secundus, Caius ([1987] 2013): Naturalis historiae libri XXXVII. Lateinisch – deutsch. Botanik: Fruchtbäume Libri. Libri XIV/XV. Hrsg. und übersetzt von Roderich König und Gerhard Winkler, München, De Gruyter.
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  • Simon 2018 = Simon, Zsolt (2018): Anatolian influences on Greek, in: Change, Continuity, and Connectivity North-Eastern Mediterranean at the turn of the Bronze Age and in the early Iron Age, Wiesbaden, Harrassowitz Verlag, 376-418.
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  • Söcknick-Scholz 1997 = Söcknick-Scholz, Rainer (1997): Quitten. Vergessene Köstlichkeit? Kulturgeschichte, Anbau und Verwertung, Oldenburg, Privatdruck des Autors.
  • Solmsen 1911 = Solmsen, Felix (1911): Zur Geschichte des Namens der Quitte, in: Glotta 3, 241-245.
  • Trumpf = Trumpf, Jürgen: Kydonische Äpfel, in: Hermes 88, 14-22.
In Lehre und Forschung hat Thomas Krefeld zahlreiche Szenarien dieser Art von Siebenbürgen über Sizilien, Calabrien, Neapel, Friaul, den gesamten Alpenraum und bis zuletzt nach Lateinamerika in den Blick genommen. An dieser Stelle sei nur auf eine knappe Auswahl aus seinem viel größeren Œuvre verwiesen (Krefeld/Klausmann 1991)(Krefeld 2004a)(Krefeld 2010b)(Krefeld 2013)(Krefeld 2015)(Krefeld 2017)(Krefeld 2018c)(Krefeld 2019a)(Krefeld 2019e)
Einen guten Überblick über die Tradition und Funktion des Banquetts im England der Frühen Neuzeit gibt der Blogeintrag "What exactlely was the tudor and stuart banquet" (URL)

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