FAIRNESS – Medien im methodologischen Zentrum der Geolinguistik

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Schlagwörter: FAIR , FAIR Prinzipien , Geolinguistik , Forschungskommunikation , Wissenschaftskommunikation

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  1. Referenz auf den gesamten Beitrag:
    Thomas Krefeld & Stephan Lücke (2020): FAIRNESS – Medien im methodologischen Zentrum der Geolinguistik, Version 1 (04.05.2020, 15:58). In: Thomas Krefeld & Stephan Lücke & Christina Mutter (Hrsgg.) (2020): Berichte aus der digitalen Geolinguistik (II), Version 7. In: Korpus im Text, url: https://www.kit.gwi.uni-muenchen.de/?p=45335&v=1
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  2. Referenz auf einen Abschnitt oder Nachweis eines Zitats: https://www.kit.gwi.uni-muenchen.de/?p=45335&v=1#p:1
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1. Vorbemerkung

Die aktuelle Förderungsphase dient der Erschließung eines zweiten großen Gegenstandsbereichs, nämlich der Natur, und zielt auf Bezeichnungen von Witterungserscheinungen, Landschaftsformationen, Fauna und Flora ab. Parallel dazu wurde viel Arbeit in  die Konzeption und praktische Umsetzung von verlässlichen Prozeduren des Datenmanagements in webbasierten Forschungsprojekten investiert. Da die grundlegende Bedeutung dieser zweiten Thematik in der romanistischen und italianistischen Geolinguistik weithin noch nicht erkannt worden zu sein scheint, wurde dies ganz entschieden in den Vordergrund dieses Arbeitsberichts gestellt.

2. Wissenschaftskommunikation im Internet

Forschungsmittel sind begrenzt; der Zugang dazu muss also kompetitiv geregelt sein. Wenn Forschung in dieser Hinsicht zwar dem Wettbewerb unterliegt, so ist sie doch in ihrem Wesen vor allem kollaborativ: Denn Fortschritt gibt es nur auf der Grundlage des jeweils bereits verfügbaren Wissens. Im Hinblick auf die Kollaboration - die ja grundsätzlich in Kommunikation fundiert ist - haben sich nun in den letzten 15 Jahren die Rahmenbedingen vollkommen geändert:  Es ist innerhalb weniger Jahre eine Gesellschaft entstanden, die explizit als Wissensgesellschaft bezeichnet wird, da sie im Privaten und im Öffentlichen die permanente und ubiquitäre Verfügbarkeit der Neuen Medien und damit einen praktisch unbegrenzten Zugang zum Wissen jeglicher Art voraussetzt.

Diese vollkommene Mediatisierung betrifft aber nicht nur den Wissenskonsum, sondern gleichermaßen die Wissensgenerierung durch Forschung, nicht zuletzt deshalb, weil sie uns eine sehr breite, ortsunabhängige Kooperation ermöglicht. Ins Schlaraffenland sind die Forscher damit freilich nicht gelangt, denn die Option auf Kooperation konkretisiert sich keineswegs automatisch. Sie erfordert vielmehr die Beachtung einiger elementarer Regeln, die seit kurzem mit der Sigle FAIR benannt werden, die von einer wichtigen Initiative lanciert wurde (🔗). Damit werden vier grundlegende ethische Prinzipien für die Wissenschaftskommunikation unter den Bedingungen der Neuen Medien identifiziert. Ihnen zufolge müssen Forschungsdaten

  • F_indable (‘auffindbar’),
  • A_ccessible (‘zugänglich’),
  • I_nteroperable (‘kompatibel’),
  • R_eusable (‘nachnutzbar’)

sein; 🔗. Die Anforderungen von drei  (F, A, R) der vier Prinzipien zielen darauf ab, sowohl human readable als auch machine readable zu sein; sie gelten also sowohl für die Mensch-Maschine-Mensch-Kommunikation als auch für die Maschine-Maschine-Kommunikation. Das vierte Prinzip (I) gilt nur für letztere; es ist jedoch im skizzierten virtuell-medialen Rahmen zentral für den Fortschritt der Forschung und repräsentiert insofern die Unverzichtbarkeit der technologischen Komponente und die Transformation des LESERs zu einem interaktiven NUTZER, der auf einem Kontinuum zwischen hochspezialisierten Experten und völligen Laien abgebildet werden kann und der sich den Daten nicht nur lesenden Auges nähert, sondern womöglich mit der Absicht, sie für eigene Forschungszwecke zu nutzen und dafür maschinelle ‘Erntehelfer’ (zum sog.  harvesting) einzusetzen.

Die Operationalisierung der FAIR-Prinzipien erfordert ein komplexes Zusammenspiel von Forschern, das heißt de facto von befristeter und deshalb mehr oder weniger prekärer Projektarbeit einerseits und andererseits von Institutionen, die Dauerhaftigkeit in Aussicht stellen können; das sind in allererster Linie die großen Bibliotheken. Die Entwicklung von Prozeduren für diese ganz spezielle Art der Kooperation gehört zu den aktuellen Herausforderungen der Forschung, die mit dem Ausdruck Forschungsdatenmanagement (FDM) bezeichnet werden. Damit sind wichtige Eckpunkte der Wissenschaftskommunikation im Web markiert, die den Horizont dieses Beitrags abstecken.

3. FAIRness in einer webbasierten Forschungsumgebung

Das Projekt VerbaAlpina (VA) versucht, die Forschungskommunikation im oben skizzierten Sinne konsequent nach den FAIR-Prinzipien zu gestalten.  Dabei ist ihre Anwendung in den folgenden fünf komplementär angelegten und eng miteinander verflochtenen Funktionsbereichen (🔗) zu unterscheiden:

  • Dokumentation;
  • Publikation;
  • Kooperation;
  • Datenerhebung durch crowdsourcing;
  • Forschungslabor.

3.1. FAIRness der Publikation

Das ganze Internet ist nichts Anderes als eine gewaltige Publikationsmaschine; es ist allerdings unbedingt notwendig zu differenzieren, denn es wird durchaus anders und teils auch Anderes als unter den medialen Bedingungen des Drucks publiziert wird. Von VerbaAlpina  werden

  • semantischer Inhalt (Dialektformen, analytischer wissenschaftlicher Text),
  • Metadaten,
  • Software und Code

veröffentlicht (🔗).

Produziert werden dabei ausnahmslos stabile Daten und Textdateien, da die gesamte Plattform (Benutzeroberfläche und Datenbanken) alle sechs Monate ‘eingefroren’, oder: versioniert wird; zusätzlich besteht jeweils eine aktuelle Arbeitsversion (Version xxx), die noch Änderungen unterliegt und daher nicht zitiert werden sollte (🔗). Die jeweils jüngste Version ersetzt jedoch nicht die vorige, sondern ergänzt sie, denn alle früheren Versionen bleiben erhalten, so dass sämtliche Zitate und Verlinkungen innerhalb des Projekts sowie von außen auf das Projekt stets zugänglich sind.

Es ist weiterhin sichergestellt, dass die Versionen gut auffindbar sind, denn ihnen wird von der UB der LMU ein DOI zugewiesen (http://dx.doi.org/10.5282/verba-alpina); gleichzeitig findet VA als Ganzes damit Eingang in die Biblibliothekskataloge (🔗).

Auf dieselbe Weise lassen sich auch alle thematischen Textbeiträge identifizieren, die auf der Projektseite unter den Reitern Lexicon alpinum, Methodologie und Beiträge publiziert werden; sie erhalten ebenfalls einen DOI und sind daher direkt zitierfähig (vgl. z.B.: Krefeld, T. / Lücke, S.: s.v. “butyru(m)”, in: VA-de 18/2, Lexicon alpinum, http://dx.doi.org/10.5282/verba-alpina?urlappend=%3Fpage_id%3D2374%26db%3D182%23B128).

Eine vergleichbare Funktion leistet der URN, der bei der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt registriert wird. Schließlich ist auch der gesamte Quellcode von VA mit allen programmierten Tools unter github auffindbar und zugänglich. Technisch gesehen liegt dem Verfahren ein Export aller VA-Daten in ein Repositorium der UB zu Grunde (open data lmu), in dem auch Metadaten im Format DataCite zugewiesen werden.

Eine große Rolle bei der Ausgestaltung der Metadatenschemata spielen die Normdaten, die eine eindeutige und fein granulierte Identifikation der Forschungsdaten erlauben. VA unterscheidet drei Datenkategorien (oder: Entitäten), für die eigene Identifikatoren vergeben werden, die in Verbindung mit den Daten abrufbar sind: ‘Konzept’, ‘morpholexikalischer Typ’ (s. Typisierung) und ‘Gemeinde’. So ergeben sich sehr spezifizierte Metadaten (vgl. das DataCite Beispiel für das Konzept SENNHÜTTE, das neben dem VA-Identifikator C1 auch die in VA ebenfalls vorhandenen onomasiologischen Identifikatoren des Wikidata-Projekts enthält:  Q136689, Q27849269, Q2649726), die grundsätzlich die eindeutige Referenzierung auf Einzeldaten definierter Objektklassen über Projektgrenzen hinweg erlauben.

Dieser Export gewährleistet die Zugänglichkeit und Nachnutzbarkeit der Daten nach dem Auslaufen der Projektförderung. Der Datenexport erfolgt über eine API-Schnittstelle (vgl. API Dokumentation), die im Internet öffentlich zugänglich ist und auch für die Ausgabe in anderen Formaten und angereichert um Metadaten von im Grunde beliebigen anderen Standards, z.B. gemäß CLARIN-D, genutzt werden kann. Einen groben Überblick des im Entstehen begriffenen Forschungsdatenmanagements (Stand vom 11.3.2019) gibt das folgende Schema:

Forschungsdatenmanagement zwischen Projekten, Institutionen und Öffentlichkeit

Im Hinblick auf die Auffindbarkeit und Zugänglichkeit sind noch zwei grundsätzliche Bemerkungen angebracht:

  1. Da bislang in der Wissenschaftsgemeinde weder ein Standard-Metadatenschema verbindlich festgelegt noch die Frage geklärt ist, welche Institutionen über deren Einhaltung und die dauerhafte Bewahrung von Daten und Metadaten wachen sollen, hat sich VA zum einen für ein flexibles Schnittstellenkonzept entschieden, das die Nutzung im Grunde beliebiger Metadatenschemata erlaubt. Außerdem beteiligt sich VA an zwei aktuell laufenden Forschungsprojekten, die sich mit dieser Problematik auseinandersetzen: der Initiative GeRDI des LRZ und dem von der Bayerischen Staatsregierung geförderten Projekt "eHumanities - interdisziplinär". Im Projekt GeRDI sollen Daten ganz unterschiedlicher Disziplinen über Metadaten verknüpft werden, indem gemeinsame Attribute festgelegt werden (was z.B. im Fall von Geo- und Chronoreferenzierungen sehr einfach und häufig auch sinnvoll ist).
  2. Abgesehen von den Metadaten, die auf die spezifischen Projektdaten referenzieren, ist es im Sinn von Auffindbarkeit und technischer Interoperabilität unbedingt ratsam, Identifikatoren und Normdaten zu verwenden, die außerhalb des Projekts etabliert sind. VA verwendet daher seit kurzem die Identifikatoren der sogenannten Wikidata-Datenobjekte. Sie liefern Referenzen für außersprachliche Realitäten und Konzepte und damit einen gemeinsamen Bezugsrahmen für viele unterschiedliche Sprachen; so gibt es derzeit (14.12.2018) Wikipedia-Artikel in 133 Sprachen über das Milchprodukt Butter. Die sehr unterschiedlichen Artikel werden verknüpft, indem sie alle auf den eindeutigen Identifikator des entsprechenden Wikidata-Datenobjekts referenzieren (Q34172). Eine Suchmaschine, die danach sucht, ist also in der Lage, alle zugehörigen 133 Bezeichnungen zu finden – und so, zumindest theoretisch, demnächst auch die in VA dokumentierten, zahlreichen Dialektformen (1926 Belege). Ein ähnliches System für Bezeichnungstypen, d.h. für Wörter (L-ID), ist bei Wikidata im Aufbau.

3.2. FAIRness der Dokumentation

VA dokumentiert Dialektbelege der drei großen europäischen Sprachfamilien, die sich in ethnolinguistischer Hinsicht als spezifisch alpin erweisen.

Das Material wurde in einen systematisch strukturierten Datenbestand überführt und nach sprachlichen (‘morpho-lexikalische Typen’, ‘Basistypen’) und außersprachlichen (‘Konzepte’) Kritierien annotiert; neben dem maschinenlesbaren Zugang über die oben erwähnte API-Schnittstelle gibt es einen menschenlesbaren Zugang, der in sehr anschaulicher Weise über eine interaktive Karte erfolgt; die dafür momentan noch genutzte Google Maps-Karte wird in Kürze durch eine bereits weitestgehend entwickelte Karte mit verbesserter Funktionalität auf der Grundlage von Open Street Maps und dem Javascript-Frameword Leaflet ersetzt (🔗 ).

Die genannten Kategorien der Datenstrukturierung  fungieren an der Kartenoberfläche als Filter. Bereits auf dieser nutzerfreundlichen, insbesondere laientauglichen Oberfläche wurde eine ebenso einfache wie elementare Funktion der reusability implementiert, denn es ist möglich, alle Karten, die man sich anzeigen lässt, in exakt der angezeigten Form (mit der entsprechenden Zoomstufe, jeweils geöffneten Fenstern usw.) mit anderen zu teilen oder sie in Publikationen usw. einzubauen, denn durch Klicken auf einen 'share button' wird für die jeweils aktuell angezeigte Karte eine versendbare URL erzeugt; so führt der folgende Link zu einer Karte aller in VA vorhandenen dialektalen Bezeichnungen von BUTTER.

Das vorhandene Sprachmaterial stammt aus zwei Quellen: Ein kleinerer Teil des Materials, das VA anbietet, wurde durch das Projekt selbst im Crowdsourcing-Verfahren (s.u. 2.4.) erhoben. Der größte Teil wurde jedoch aus gedruckten oder für den Druck vorgesehenen Arbeiten gewonnen, so finden sich auch Formen, die uns im Rahmen von Partnerschaftsabkommen aus noch nicht abgeschlossenen Projekten zur Verfügung gestellt wurden (vgl. zum Beispiel das Punktnetz des Sprachatlas von Oberösterreich). Berücksichtigt wird auch Wörterbuchmaterial, unter der Bedingung, dass die sprachlichen Belege georeferenzierbar sind; das ist bei guten Dialektwörterbüchern wie zum Beispiel dem DRG oder dem VSI der Fall. De facto ist jede Quelle überdies auch chronoreferenzierbar, allerdings wurde diese Funktion noch nicht implementiert.

Durch die Retrodigitalisierung und den Webauftritt werden zahlreiche, in teils schwer zugänglichen Publikationen ‘schlafende’ Dialektausdrücke leicht auffindbar (F), zugänglich (A), interoperabel (I) und in allgemein kompatibler Weise nachnutzbar (R) gemacht; denn alle verfügbaren Formen erhalten einen persistenten Identifikator und werden in Kürze auch über einen Digital Object Identifier (DOI) ansprechbar sein. Hier ein Beispiel aus dem Sprach- und Sachatlas Italiens und der Südschweiz, AIS (1928-1940).

VA produziert also gewissermaßen FAIRen Output. Allerdings sind die allermeisten Quellen, der Input, von FAIRness meilenweit entfernt. Die Gründe dafür sind teils technischer, teils aber auch juristischer, letztlich: kommerzieller Art. In der Regel sind Sprachatlanten ausschließlich als physisches Druckwerk zugänglich; nur sehr wenige bieten wenigstens die elementarste Stufe der Digitalisierung, d.h. digitale Photos (scans) an, wie z.B. der AIS in Gestalt des NavigAIS oder der SDS im Hinblick auf das Orginalmaterial. Kein einziger älterer Atlas wurde bislang in Form eines strukturierten Korpus aufbereitet, das auch den Export der Daten gestattet. Immerhin konnte eine solche Lösung auf der Basis einer Kooperationsvereinbarung für den ALD gefunden werden; dem Druck dieses Atlas’ von Hans Goebl lag ein digitales Format zu Grunde, das zwar wegen fehlender Identifikatoren der Inhalte nicht interoperabel war, sich aber nach bestimmten Adaptationen als maschinenlesbar und entsprechend nachnutzbar erwies; alle Bezeichnungen relevanter Konzepte erscheinen daher in VerbaAlpina (vgl. das ALD-Ortsnetz und dieses Beispiel).

  Findable Accessible Interoperable Reusable
  menschl. masch. menschl. masch. masch. menschl. masch.
ALI - - - - - - -
SDS + + + - - + -
AIS + + + - - + -
ALD + + + - - + +
VA + + + + + + +

Anders, deutlich komplexer, erscheint die Lage im Bezug auf georeferenzierbare Wörterbücher; die seit kurzem verfügbare Online-Version des DRG ist so eingerichtet, dass jedes Lemma dank eines Identifikators als digitales Objekt zugänglich ist (A), so zum Beispiel bargia ‘Schopf’. Ein maschineller Export ist jedoch nicht vorgesehen, und es ist erkennbar, dass auch die technische Möglichkeit der unmittelbaren Referenzierung auf ein Lemma über eine URL eher ein technisches "Abfallprodukt" ist, das sich mehr oder minder zufällig bei der Softwareentwicklung ergeben hat. Jedenfalls wird kein Zitier-Link angeboten und es scheint generell keine konkreten Hinweise für die Nutzer auf diese Möglichkeit zu geben, so dass der Gebrauch letztlich der "Gerissenheit" des Nutzers überlassen ist.

Seit kurzem existiert eine Reihe von Online-Lexika zu zwei ladinischen Dialekten, dem Gadertalischen (Badiot) und dem Grödnerischen (Gherdëina) (https://www.micura.it/de/woerterbuecher). Allesamt werden verantwortet vom ladinischen Kulturinstitut in St. Martin in Thurn (Istitut Ladin Micurà de Rü) und alle sind offenkundig als Derivate von Publikationen in Buchform entstanden. Zugrunde liegen jeweils zwei Lexika für das Deutsche (Mischì, Giovanni, Wörterbuch deutsch - gadertalisch = Vocabolar todësch - ladin, San Martin de Tor 2001 [ISBN 88-8171-028-5]; ders., Wörterbuch: Deutsch - Grödner - Ladinisch = Vocabuler: tudësch - ladin de Gherdëina, San Martin de Tor 2002 [ISBN 88-8171-033-1]) und das Italienische (Moling, Sara [Hg.], Dizionario italiano - ladino Val Badia; Dizionar ladin Val Badia - talian, San Martin de Tor 2016 [ISBN 978-88-8171-120-8];
Forni, Marco [Hg.], Dizionario italiano - ladino gardenese = Dizioner ladin de gherdëina - talian, San Martin de Tor 2013 [978-88-8171-106-2]), wobei lediglich die italienischen Lexika die biderektionale Perspektive Italienisch⇔Badiot und Badiot⇔Italienisch bedienen; die deutschen Lexika sind monodirektional Deutsch⇒Badiot bzw. Deutsch⇒Gherdëina angelegt.

Der lexikalische Bestand dieser Werke ist nunmehr also auch im Internet verfügbar, wobei die konkrete Vorgehensweise bei der Digitalisierung und auch die Struktur des zugrundeliegenden Datenbestands vollkommen unklar ist. Die Aufteilung des Datenbestands in vier voneinander getrennte Buchpublikationen spiegelt sich, überraschender- und gleichzeitig unnötigerweise, auch in der Datenpräsentation im Internet wider. Jedem Lexikon entspricht ein eigenes Internet-Portal. Dabei wurden die beiden Portale für die deutschen Lexika offenkundig von anderen Entwicklern konzipiert und realisiert als die italienischen.

  1. Badiot⇔Italienisch (und vice versa): http://itavalbadia.ladinternet.it/
  2. Badiot⇒Deutsch: https://www.micura.it/de/dizionars/vb/dl
  3. Gherdëina⇔Italienisch: http://dizionario-italiano-gardenese.ladinternet.it/ (= http://forniita.ladinternet.it/)
  4. Gherdëina⇒Deutsch: https://www.micura.it/de/dizionars/gh/dl

Verantwortlich für die Internetportale der italienischen Daten ist die Florentiner Firma SmallCodes, die seit Jahren technische Lösungen im Umfeld der (vor allem ober-)italienischen Dialektforschung entwickelt. Die Entwickler der Portale der Deutsch-Ladin-Lexika werden nicht genannt.

Entsprechend der Aufteilung auf vier Portale sind auch die jeweiligen Datenbestände nicht aufeinander bezogen, was z.B. die Folge hat, dass man bei einer Suche ausgehend von der italienischen Bezeichnung lumaca (SCHNECKE) zwar das gadertalische sgnech geliefert bekommt, nicht jedoch die deutsche Bezeichnung Schnecke, die ihrerseits über das deutschsprachige Portal mit sgnech verknüpft ist. Auf die mit sgnech offenkundig eng verbundene Variante snech im Grödnerischen gelangt man wiederum nur nach einer gesonderten Suche auf dem entsprechenden Portal – und dies, obwohl die beiden Portale (Italienisch⇔Badiot und Italienisch⇔Gherdëina) von der selben Firma entwickelt worden sind. All dies dokumentiert, dass die Datenbestände, die im Grunde unter einem institutionellen Dach vereint sind, zumindest technisch nicht aufeinander bezogen und somit im Sinne der FAIR-Prinzipien nicht ‘interoperabel’ sind. Dies gilt gleichermaßen auch für die Anknüpfungsmöglichkeiten von außerhalb: Eine unmittelbare Referenzierung auf die soeben exemplarisch genannten morpholexikalischen Typen sgnech, snech und lumaca ist technisch nicht möglich. Eine Ausnahme sind lediglich die deutschsprachigen Versionen der Online-Lexika, die wenigstens den URL-basierten Verweis auf das deutsche Lemma erlauben (z.B. https://www.micura.it/de/woerterbuecher/vb/dl?q=Schnecke), eine Referenzierung auf die ladinischen Typen ist technisch jedoch auch hier nicht möglich.

Beklagenswert ist ferner die schlechte Auffindbarkeit der in den Lexika versammelten morpholexikalischen Typen von außerhalb der eigentlichen Portale, also über das Internet oder etwa über Bibliothekskataloge. Allerdings liegt dies nicht in der Verantwortung der Einzelakteure, sondern beruht auf dem Fehlen von Aggregatoren, die voneinander getrennt generierte und verwaltete Datenbestände unter Einsatz geeigneter Metadatenschemata miteinander verknüpfen können. Derartige Strukturen sind derzeit erst in ihrer Entstehungsphase. Als Beispiel wäre etwa die "Generic Research Data Infrastructure" (GeRDI) zu nennen, an der u.a. VerbaAlpina als Partner- und Pilotprojekt beteiligt ist. In jedem Fall hat die mangelhafte Auffindbarkeit zur Folge, dass die hier thematisierten ladinischen Online-Wörterbücher auch einem weiteren im Akronym FAIR formulierten Postulat – dem "F": Findable – nicht genügen. Das Gleiche gilt auch für die verbleibenden FAIR-Forderungen der Zugänglichkeit (A: Accessible) und der Nachnutzbarkeit (R: Reusable). Zwar ist die Zugänglichkeit über das Internet grundsätzlich möglich, sie erfährt jedoch ganz wesentlich dadurch eine Einschränkung, als der Datenbestand lediglich durch manuelle Formulareingaben abgefragt werden kann. Ein vollständiger oder wenigstens partieller Export der Daten auf Basis frei zu definierender Filter ist anscheinend nicht möglich. Auch existiert offenkundig keine API, die eine wichtige Voraussetzung für die maschinelle Verarbeitung, auch und gerade im Sinne der Verknüpfung mit kongruenten externen Datenbeständen, darstellt. Das Fehlen einer API bedingt gleichzeitig und zusätzlich die mangelnde Interoperabilität der Daten. Die Nachnutzbarkeit der Daten schließlich wird nicht zuletzt entscheidend durch das Lizenzmodell beschränkt, unter dem sie zur Verfügung gestellt werden: Das Copyright gestattet die Nutzung der Daten nur in sehr beschränktem Umfang, nach deutschem Recht im Wesentlichen nur im Rahmen dessen, was das Zitatrecht erlaubt.

Die hier thematisierten ladinischen Online-Wörterbücher machen insofern also nur auf den ersten Blick den Eindruck von zeitgemäßen Webpublikationen. Es ist begrüßenswert, dass das Material überhaupt im Internet verfügbar ist, und bestimmte Funktionen und Konzepte gehen über das hinaus, was herkömmliche Buchpublikationen zu leisten im Stande sind. Dazu gehört zum einen die Präsentation von Tonaufnahmen (auf die wiederum nicht verlinkt werden kann) sowie das Vorhandensein eines onomasiologischen Tools ("galleria immagini" in den Italienisch-Ladinischen Modulen; wiederum nicht per URL referenzierbar), das den Datenbestand über anklickbare Abbildungen aufschlüsselt. Letztlich jedoch sind auch die Webportale mit den Beschränkungen behaftet, die eigentlich nur dem Buch zu eigen sind, und es ist offenkundig, dass hier nicht mit der gebotenen Entschlossenheit und Konsequenz die Möglichkeiten der neuen Medien genutzt werden. Aus Sicht von VerbaAlpina ist dies vor allem deswegen bedauerlich, weil eine auch nur punktuelle (und gerne wechselseitige) Verknüpfung der eigenen Datenbestände mit den Beständen der ladinischen Wörterbücher de facto unmöglich ist.

Ebenfalls nur durch manuelle Formulareingaben ist der Niev Vocabulari sursilvan online bieten selbst diese Möglichkeit nicht an, so dass an Interoperabilität nicht zu denken ist.

3.3. FAIRness der Kooperation

VA wird von zahlreichen Partner-Projekten unterstützt; das große Potential dieser Kooperation ist selbstverständlich und bedarf eigentlich keiner Erläuterung. Dennoch soll die konstruktive Perspektive der mehrfachen und komplementären Nachnutzung kompatibler Partnerprojekte an einem Beispiel illustriert werden: Im Rahmen des  Archivio lessicale dei dialetti trentini (ALTR) wurden fünf gedruckte Dialektwörterbücher  unterschiedlicher Talschaften (aus der Zeit zwischen 1955 und 1984) in einer Datenbank zusammengeführt. Dank einer Projektpartnerschaft konnte VA die relevanten Ausdrücke konvertieren und importieren, so dass sie nun im Kontext aller Alpendialekte kartographisch dargestellt werden können; vgl. die folgende Bezeichnung eines Geräts zum Buttern: smalzaia).

Als interoperabel in der Kooperation hat sich auch die Projektarchitektur und die entsprechende Software bereits erweisen; so konnte probeweise das sizilianische Regional- und Spezialwörterbuch von Sottile 2002 ohne Schwierigkeiten nachgenutzt und als Atlas dargestellt werden (vgl. den Atlante linguistico della Sicilia online, der seit 2019 durch die sizilianischen Partner ausgebaut wird). Auch der im Entstehen begriffene Atlas des Pikardischen in Nordfrankreich und Belgien greift seit dem Herbst 2018 auf die Konzeption und Technologie von VA zurück (vgl. Verba Picardia).

3.4. FAIRness im Crowdsourcing

Crowdsourcing-Verfahren richten sich in allererster Linie, wenngleich nicht ausschließlich, an Laien; sie setzen deshalb eine intuitiv leichte Auffindbarkeit und Zugänglichkeit zentraler Datenbereiche für menschliche Nutzer voraus. Die Daten werden durch die Art der Erhebung in ein strukturiertes und interoperables Format gebracht, das Nachnutzung gestattet. VA nutzt crowdsourcing in doppelter Weise: Zunächst wurde ein ästhetisch ansprechendes und einfach zu bedienendes Tool zur Datenerhebung programmiert (Mitmachen!); dafür wurde auch ein Tutorial auf Youtube gepostet. Ferner wurde soeben ein Zooniverse-Auftritt eingerichtet, um die für Retrodigitalisierung erforderliche Transkriptionsarbeit wenigstens teilweise an die Crowd weiterzugeben (🔗). Auch dafür ist Interoperabilität der VA-Datenbasis die Voraussetzung.

Das Erhebungstool wurde durch populärwissenschaftliche Vorträge in der Erwachsenenfortbildung einschlägiger Berufsgruppen (am 20.4.2018, 26.2.2018, 7.10.2017) beworben und fand daneben auch ein schönes massenmediales Echo. Die Auswertung ist interessant, denn es zeigt sich, dass vor allem Projektberichte im Internet relevant sind, da dort über einen Link ein direkter, sozusagen intramedialer Zugang angeboten werden kann: Das mit Abstand stärkste Echo fand deshalb ein Post auf der Internetseite des Bayerischen Rundfunks (am 27.4.2018); insgesamt wurden durch die 955 ‘Crowder’ bislang  11486 Dialektformen (Stand: 12.3.2019) beigesteuert  (🔗).

4. Aktuelle Entwicklungen und Perspektiven

VerbaAlpina hat eine nennenswerte und immer noch anwachsende Anzahl von Projektpartnern gewinnen können. Im Zuge der Bemühungen um Nachhaltigkeit und Nachnutzbarkeit im Sinne der FAIR-Prinzipien ist vor kurzem auch eine Kooperation mit dem CLARIN-D Centre Leipzig zustande gekommen, deren vorrangiges Ziel es ist, die VerbaAlpina-Projektdaten zusätzlich auch in diesem Repositorium unterzubringen. Derzeit wird an der Datenübertragung gearbeitet, die über die seit kurzem verfügbare API des VA-Projektportals erfolgen wird.

VerbaAlpina stellt jedem Projektpartner eine eigene MySQL-Datenbank zur Verfügung, die auf dem selben Datenbankcluster betrieben wird wie die VerbaAlpina-Datenbank. Art und Umfang der Nutzung dieser Datenbanken ist sehr unterschiedlich. Hervorzuheben ist, dass aktuell systematisch und in größerem Umfang lexikalisches Material aus dem Atlante linguistico della Sicilia (ALS) in die entsprechende Partnerdatenbank (PVA_ALS) übertragen wird. Dabei handelt es sich um Sprachdaten aus den Madonie, einem an der Nordküste Siziliens gelegenen Gebirge, in dem traditionell auch Vieh- und Milchwirtschaft betrieben wird. Die in die Partnerdatenbank übertragenen Daten werden automatisch auch auf dem von der ITG betriebenen Online-Portal mit integrierter interaktiver Karte visualisiert (http://www.als-online.gwi.uni-muenchen.de/carta/). Aus onomasiologischer Perspektive ist das Material des ALS in weiten Teilen kongruent zu dem von VerbaAlpina gesammelten Material aus dem Alpenraum und eröffnet somit erweiterte Möglichkeiten, überregionale Zusammenhänge zu erkennen, wie dies im Rahmen des Projekts exemplarisch schon erfolgt ist (s. Krefeld, T.: s.v. “tomme / toma (f. (roa.)”, in: VerbaAlpina-de 18/2, Lexicon alpinum, https://doi.org/10.5282/verba-alpina?urlappend=%3Fpage_id%3D2374%26db%3D182%23L616). Die logische Verknüpfung zwischen dem Datenbestand in PVA_ALS mit dem VA-Datenbestand stellt allerdings eine große Herausforderung dar, die im Rahmen von VerbaAlpina bestenfalls skizzenhaft verwirklicht werden kann. In der Praxis würde die Verschränkung der beiden Datenbestände durch die wechselseitige Zuweisung der Konzepte und morpholexikalischen Typen zu einer gemeinsamen, zentralen Normdateninstanz erfolgen. Nach Vorstellung von VerbaAlpina könnte dies modellhaft für die Entwicklung einer universalen Lexikographie sein, die zeit- und raumübergreifend (nicht nur) lexikalische Zusammenhänge sichtbar werden lassen könnte.